Nachrichtenarchiv "Rezensionen"

DSB verlost 3 Bücher „Schach in Ostberlin 1945–1990“

Veröffentlicht von Frank Hoppe am

Vor einigen Wochen erschien das zweite Buch aus der Feder des Berliners Wolfgang Thormann. „Schach in Ostberlin 1945–1990“, zu dem er Unterstützung des Schachverlegers Arno Nickel erhielt, ist ein Gemeinschaftswerk der beiden geworden. Entstanden ist ein sehr lesenwertes Werk, das auf Thormanns Erstling aufsetzt und weitere Porträts und Hintergrundinformationen zum Schach in Ostberlin nach 1945 und speziell der TSG Oberschöneweide enthält.

Der Deutsche Schachbund verlost bis zum 1. Januar 2024 drei dieser Bücher an alle Einsender, die eine Quizfrage richtig beantworten. Unter allen Nichtgewinnern wird außerdem ein Schachkalender 2024 verlost.

Rezension und Verlosung beim DSB

Frank Hoppe

Kategorien: Historie, Presse, Rezensionen

Antje Göhlers zweiter Roman erschienen

Veröffentlicht von Frank Hoppe am

Antje Göhler (geb. Riedel) ist eine der besten Schachspielerinnen Berlins. Höhepunkte ihrer Schachlaufbahn waren 1988 der DDR-Meistertitel bei den Frauen und die Verleihung des Titels Internationale Meisterin. Nach dem 1992 in Leipzig abgeschlossenen Studium der Germanistik lebte sie mit ihrer Familie in Berlin, Bonn, Warschau, Rom und Taschkent. Derzeit ist Antje in Kostarika. Die promovierte Literaturwissenschaftlerin veröffentlichte jetzt ihren zweiten Roman. Dagobert Kohlmeyer hat ihn gelesen.

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Kategorie: Rezensionen

Carlsen und die Spielertypen

Veröffentlicht von Fernando Offermann am

Bücherschau im Januar: Magnus Carlsens "60 Memorable Games", seine Endspiele, seine Neo-Möller-Variante und ein Buch von Karsten Müller und Luis Engel über Spielertypen.

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Kategorie: Rezensionen

Bücherschau im Dezember

Moskalenkos d4-Repertoire, ein kostenloses Blindschach-Übungsbuch und Luthers Trainerkompendium

Veröffentlicht von Fernando Offermann am

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Kategorie: Rezensionen

Arbeitstier: Am Brett mit Kamsky

Jan Wendt über Gata Kamskys "Chess Gamer" Vol. 1: The Awakening

Veröffentlicht von Fernando Offermann am

"Chess Gamer Vol.1" ist ein Portrait des jungen Kamsky in 22 kommentierten Partien und ein großes Stück gelebte Schachgeschichte der Neunziger Jahre. Wer sich für die Schachgeschichte jener Zeit oder für Topclass Grinding Chess interessiert, kommt an dieser kommentierten Partiensammlung nicht vorbei.

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Kategorie: Rezensionen

Geller, Alpha Zero und das schmutzige Gewinnen

Veröffentlicht von Fernando Offermann am

Ein Blick auf Neuerscheinungen: "The Nemesis" über Geller, "Winning Ugly in Chess" nebst anderen Schwindel-Büchern und die deutsche Ausgabe von "Game Changer".

 

Es geschieht nicht oft, wenn ein Buch erscheint, dass ich es unbedingt, und zwar jetzt und gleich und ohne Verzögerung, sofort haben muss. Diese Partiensammlung Gellers gehört dazu.

Es mag einigen Lesern nicht bekannt sein, wer Efim Geller eigentlich war. Dieser Wikipedia-Artikel bringt es gut auf den Punkt. Nur so viel sei an dieser Stelle erwähnt: Gegen die Weltmeister Botwinnik, Fischer, Petrosjan und Smyslow hatte er einen positiven Score, 1979 gewann er vor Kasparow die UdSSR-Meisterschaft. Botwinnik sagte einst über ihn: "Vor Geller hatten wir die Königsindische Verteidigung nicht angemessen verstanden." Die ausgefuchsten Pläne für Weiß im Sizilianer von Karpow hatten bei Geller ihren Ursprung.

Der Quality Chess Verlag tut sehr gut daran, Gellers Partien mit dessen eigenen Kommentaren (aus dem Russischen ins Englische übersetzt) einem internationalen Publikum zur Verfügung zu stellen. Die Vermächtnis-Reihe "Chess Classics" war mit Ausnahme des schönen Petrosjan-Buchs "Python Strategy" bislang nichts für mich. "Questions of Modern Chess Theory" von Isaak Lipnitzky ließ mich eher kalt, beim Versuch, Peter Romanowskis "Soviet Middlegame Technique" zu lesen, verlor ich schnell den Glauben an die Richtigkeit vieler Behauptungen.

Bislang kannte ich von Geller nur "The Application of Chess Theory". Mit dem vorliegenden Buch tituliert der Verlag den ukrainischen Großmeister Efim Geller als "The Nemesis" ("Der Widersacher") – wohl wegen des persönlichen Erfolges in den Partien gegen die vielen Weltmeister. Wie kaum ein anderer ergründete Geller das Wesen einer Position. Ein Wahrheitssucher, und darin für mich noch beeindruckender als Steinitz.

Über eine Sache müssen wir an dieser Stelle aber auch reden: Die Anmerkungen, denn diese stören enorm. Natürlich haben wir durch die Engines einen ganz anderen Radar zur Verfügung als damals, als diese Partiekommentare erschienen waren. Allerdings haben für mich diese Anmerkungen den gleichen aufmerksamkeitsraubenden Charakter wie Werbeeinblendungen. Erstens wird dem Leser ständig vor Augen geführt, wie oft sich Geller irrte, was nichts Besonderes ist, weil alles, was früher im Schach publiziert wurde, einer heutigen Genauigkeitsüberprüfung nicht stand hält, aber darüber hinaus haben die Verleger aus meiner Sicht keine Lösung gefunden, die Balance aus notwendiger Anmerkung und überlauter Präsenz zu finden. Es wirkt mitunter sogar ein wenig altklug.

Bei Kasparow in dessen "My Great Predecessors" wurde die Balance besser gewahrt, auch weil Kasparow selbst eine Autorität ist. Wenn aber in den Anmerkungen zu Geller - Fischer (Curaçao 1962) steht, laut Mednis sei die korrekte Variante 14…Tac8 15.Tc1 Dd8 16.Dc2 h6, mit der Absicht, die schwarzfeldrigen Läufer mit …Lg5 zu tauschen, so ist das doch nicht so bedeutend, ob Mednis das so einschätzt hat oder nicht. Das "according to" ist hier doch überflüssig, Urheberschaft drückt hier keine Autorität aus, höchstens rechtschaffene Höflichkeit gegenüber jenem, der es (vielleicht) zum ersten Mal publizierte. Rudolf Teschner hätte das besser gemacht. In diesem Fall vielleicht: "Mednis schlug später vor, mit (…) die Läufer auf g5 zu tauschen." Wenn hingegen eine Analyse von Kasparow und Dworetzki Fischers 34…Lf5 kritisiert und belegt, mit 34…Dc2 sei die Partie wohl noch zu halten gewesen, hat das ein ganz anderes Gewicht.

Mich stören die vielen Anmerkungen und sie zerren an meiner Aufmerksamkeitsspanne. Ich will Gellers Kommentare lesen, und wenn er sich irrte, will ich gelegentlich Züge in Klammern und dann eher Fußnoten lesen. Dieses Format gefällt mir nicht.

Aber genug von dieser Kritik. Das Buch sollte als Hardcover gekauft werden. Dreißig Euro ist es komplett wert. Wer das Buch liest, versteht anschließend mehr vom Schach. Ist einfach so.

Efim Geller: The Nemesis. Quality Chess, 480 S., Glasgow 2019.

 

Weitere Titel im Schnelldurchlauf:

Gibt es einen Autor, der noch mehr publiziert als Cyrus Lakdawala? Alles Mögliche über Eröffnungen und Stars, doch jetzt mal was anderes: "Winning Ugly in Chess" (New in Chess, 304 S., Alkmaar 2019)

Vorweg: Das eigentliche (Tennis)-Buch von Brad Gilbert ist ein Ding für sich. Tennis-Profi und Trainer Brad Gilbert hatte mit "Winning Ugly" ein Buch publiziert, das wirkliche Bedeutung hatte. Das Buch "Winning Ugly in Chess" hat eher wenig Relevanz, was die Themensetzung betrifft. Es ist ein eher verschwatztes Buch zum Schmökern, voller Anekdoten, Anregungen und eher Notizenhaftem. Der Text bleibt nicht konsequent bei der Sache, hat mit der Technik des schmutzigen Gewinnens und der mentalen Haltung dazu nicht so viel zu tun. Ich hätte so etwas wohl lieber von Lev Aronjan gelesen.

Neugierig macht mich das neue Buch von Andy Soltis über das Schwindeln im Schach ("How To Swindle in Chess", Batsford, 240 S., London 2020). Im Alter ist Soltis ja immer besser geworden, so mein Eindruck nach "My Horse for Your Kingdom" und vor allem nach der Vierer-Biographie "Tal, Petrosian, Spassky and Korchnoi" (siehe auch hier auf der BSV-Seite: "Vier Kombattanten", Oktober 2019).

Wirklich interessant ist aber das zweite Buch von David Smerdon. "The Complete Chess Swindler" des australischen Großmeisters gefällt mir sehr gut (New in Chess, 368 S., Alkmaar 2020). Klare Kaufempfehlung: Substanziell, kenntnisreich, gut geschrieben, viel drin, kluger Autor, lesen.

Vor einem Jahr schwappte der Alpha-Zero-Hype über uns hinweg. Googles Projekt "Deep Mind" zu neuronalen Netzwerken gewährte dem Autorenduo Matthew Sadler/ Natasha Regan Zutritt, hielt aber ansonsten viele Informationen vor der Öffentlichkeit zurück. Ich hatte mich in der Zeitschrift „Schach“ Ende 2016 über Deep Mind geäußert. Zwischenzeitlich war’s dann etwas stiller, doch dann kamen die Damenindisch-Knaller gegen Stockfisch. Das Buch wurde von vielen gelesen, aber mich hat das eher wenig berührt. Die bunten Hunde unter den Partien waren ohnehin schon publiziert, und auch wenn Sadler schon immer zu meinen Lieblingsautoren gezählt hat, so habe ich inzwischen den Eindruck, dass ihn dieses Projekt nachhaltig beeinflusst hat. Er ist enthusiastisch und beseelt, ja, stimmt schon, aber auf eine eigentümliche Weise wirkt er auch seltsam eingenommen von dieser Faszination. Oder es ist sein Business geworden, so wie jemand aus der Marktingabteilung der Telekom. Nicht, dass er alles in den Himmel lobt, aber mir fehlt da etwas Distanz. Außerdem hätte ich gern etwas mehr über Deep Mind und neuronale Netzwerke erfahren. Aber die gute Nachricht: "Game Changer" gibt’s jetzt auch auf Deutsch: "Zeitenwende im Schach" (New in Chess, 416 S., Alkmaar 2019).

Dann noch etwas: In der kleinen, günstigen und praktischen Serie "C.H. Beck Wissen" hat Christian Mann die Fibel "Schach" veröffentlicht. Für wen ist dieses Buch? Ich stelle mir vor, wenn meine Schwiegereltern das Bedürfnis hätten, etwas übers Schach zu erfahren, so würde ich ihnen das Buch schenken. Es soll jetzt nicht hochtrabend klingen, aber das meiste wird uns geläufig sein. In dem Buch steht aber viel drin, es ist recht universell und hat einen wohlwollend narrativen Ton, so dass man es locker durchblättern kann, und für einen Zehner ist es auch nicht allzu teuer (C.H. Beck, 128 S., München 2019).

Die Titel wurden uns zur Verfügung gestellt vom Schachversand Niggemann

Kategorie: Rezensionen

Rezension: Überliste Deinen Gegner

George Milare schreibt über den Anfang der Schachkarriere seines Sohns Tyron

Veröffentlicht von Carsten Schmidt am

George Milare hat die Geschichte seines Sohns Tyron in einem Buch veröffentlicht. Gewissermaßen die erste Biografie seines Sohns, noch ohne Schachdiagramme, aber mit vielen Anekdoten über Motivation, Überwindung von Krisen und gemeinsamer Meisterung der großen Herausforderung des Schachspiels. Vielleicht wird es in ein paar Jahren eine weitere Biografie geben, in der der Sohn dann seine schachliche Entwicklung in Partien vorstellt. Ich konnte den Eindruck gerade bei der DSAM in Bad Wildungen gewinnen, wo Tyron sich in der B-Gruppe locker für das Finale in Magdeburg qualifizierte. Ein weiterer Schritt in der vom Vater in den Anfängen beschriebenen, hoffentlich langen Karriere seines Sohns.

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Kategorie: Rezensionen

Vier Kombattanten

Tal, Petrosjan, Spasski und Kortschnoj: Andrew Soltis erzählt von der großen Zeit des sowjetischen Nachkriegsschachs

Veröffentlicht von Fernando Offermann am

Andrew Soltis: Tal, Petrosian, Spassky and Korchnoi - A Chess Multibiography with 207 Games. 380 S., McFarland 2019.

Vor zwanzig Jahren hatte der Großmeister und Autor Andrew Soltis "Soviet Chess 1917-1991" veröffentlicht. Es ist ein umfangreiches und gutes Buch. Soltis bemerkte jedoch beim Schreiben: Michail Tal, Viktor Kortschnoj, Tigran Petrosjan und Boris Spasski hatten im Verbund das Schach in ihrer Heimat derart nach vorn getrieben, wie es seitdem nicht wieder geschehen ist. Die vier Ausnahmespieler hatten Gemeinsamkeiten in ihrer Lebensgeschichte, durch die sie ihr Leben lang verbunden waren, und trotz Rivalitäten und Reibereien waren sie Schicksalsgenossen – so unterschiedlich ihre Temperamente und Stile auch waren.

Eigentlich hatte Soltis lange seinen Ruhestand angekündigt, und vor drei Jahren sollte es endlich so weit sein, aber dieses Buch hat er zum Glück noch veröffentlicht. Kaum ein anderer Autor kann wie er mit erzählerischen Mitteln das vergangene Zeitalter des sowjetischen Nachkriegsschachs aufleben lassen, und nun liegt das Buch vor, das er eigentlich vor zwanzig Jahren schreiben wollte, aber das ging damals noch nicht, denn das Quellenmaterial hatte damals noch nicht vorgelegen und tauchte erst nach und nach auf.

Jeder kennt die Partien, aber bislang war sehr wenig über das Leben dieser vier Größen bekannt, was vor allem an erst in letzter Zeit veröffentlichten Quellenmaterial lag. Über Tals Abstammung wird vieles nur unzureichend kolportiert. Auch, wie Petrosjans Ehe zustande kam und wie seine Frau ihn beeinflusste, ist in Details nur wenig bekannt gewesen. Kortschnoj und Spasski wären in ihrer Kindheit fast verhungert, auch war es für den jungen Viktor nicht unerheblich, dass sein Vater zur Hälfte jüdischer Herkunft war, auch wenn er selbst katholisch erzogen wurde. Insbesondere in der Sowjetunion unter Stalin war dies von entscheidender Bedeutung. Von Vertreibung jüdischer Russen ist die Rede, von Repressalien, von Willkürjustiz und Verbannung.

Dies ist aber kein Band für Historiker, sondern ein Buch für Leser. Es ist für jene, die ergründen möchten, warum ausgerechnet diese vier Ausnahmeprofis das Schach so bestimmt haben, und was sie von Kholmov, Geller und Stein unterschied und weshalb ausgerechnet sie später den Erfolg hatten. Vor allem profitieren von der Lektüre jene, die diese Zeit vornehmlich aus der Perspektive des Aufstiegs Bobby Fischers in den Schacholymp kennen. Dieses Buch erzählt von der Gegenperspektive. Für Fischer waren alles Russen, egal ob Este, Ukrainer, Georgier oder Armenier, und nicht nur Fischer hatte diesen Tunnelblick.

Soltis macht die Geschichte lebendig, und das ist nicht einfach nur so dahingesagt. Wir erfahren die Bedeutung der Karrieren für das Überleben, wir erfahren, dass Kortschnoj beschloss, Schachprofi zu werden, als es in Russland erst einen Profi gab: Botwinnik. Wir erleben die Demütigung, die Petrosjan auf sich genommen hatte, als er, bettelarm, in den Umkleidekabinen von Spartak den Boden wischen und dort auch mangels eigener Wohnung übernachten musste. Selbst noch als Spieler der ersten Mannschaft. Und was es für ihn fast mittellosen Jungen bedeutete, erstmals zum Schachtraining gehen zu dürfen. Es war eine Zeit in der Sowjetunion, in der sich sogar weltberühmte Großmeister mitsamt ihrer Familien mit weniger als zwanzig Quadratmetern Wohnfläche begnügen mussten.

So verstehen wir, was Petrosjan als Weltmeister die Rückkehr zu den Orten der Armut bedeutete. Wir erfahren, wie Petrosjans Ehefrau die Fäden im gesellschaftlichen Leben der besten Spieler des Landes zog und dafür sorgte, dass ihr Tigranshik Weltmeister wird. Dann verstehen wir auch, welchen Affront es bedeutete, als Fischer sie wegen anhaltenden Quasselns aus dem Zuschauerraum entfernen ließ. Und weshalb Petrosjan fortan nie wieder mit "Bobika" sprach. Und wir erfahren, wie es dazu kam, dass Kortschnoj in seiner Heimat den Beinamen "Böser Viktor" erhielt, aber auch, weshalb er so eine gute Punktausbeute gegen Tal hatte. Kortschnoj musste wie auch Petrosjan oder Spasski als Kind ums Überleben kämpfen. Mit elf Jahren zog er den Leichnam seiner Großmutter über mehr als eine Meile mit dem Schlitten durch das eisige Leningrad, um sie zu begraben. Welcher Großmeister der heutigen Zeit hat schon Vergleichbares erlebt?

Das Buch erklärt zudem, dass das Image des "Eisernen Tigrans" zum Teil auch einem Mythos gleichkam, denn offenbar war Tigran gar nicht so eisern. Der Armenier hatte häufig Mühe, sein aufwallendes Temperament während der Partie zu zügeln und auch Angst am Brett war ihm vertraut. Stabsärzte empfahlen dem Weltmeister, sich von Aufregungen jeder Art fernzuhalten. Die Sorge der Mediziner teilte Petrosjan indes nicht: "Don’t get excited! It’s easy to say. But what’s the point of life then? What do I get out of it? What does life give me then?"

Tigranshik wollte das Leben genießen. Er liebte die guten Dinge und kehrte in den Sechzigern einmal mit einer Schallplatte der Beatles aus Europa heim. "Listen, son. This is good music." So einen Vater gehabt zu haben - das war nicht nur in der Sowjetunion sicher etwas Besonderes.

Soltis’ Buch hilft, die Zusammenhänge im Leben der vier Kombattanten zu verstehen. Jeder kennt die Semi-Tarrasch-Partie Polugajewski-Tal von der 37. UdSSR-Meisterschaft, eine der zentralen Partien in Polugajewskis Karriere, aber kaum jemand weiß, dass sich Tal damals auf dem Tiefpunkt seines ohnehin schon miserablen Gesundheitszustandes befand. Die Menschen erschraken bei seinem Anblick, bereits zwei Jahre zuvor hätte seine verrottete Niere entfernt werden müssen.

Tal wurde allgemein als umgänglicher und charmanter Zeitgenosse wahrgenommen. Soltis gibt uns aber anhand der Erinnerungen seiner ersten Frau Sally Landau eine weitere Perspektive auf die schillernde Persönlichkeit und zeigt, wie sehr sich Tal bei alltäglichen Problemen auf seine Umgebung verließ. Er verlangte von seiner Familie, dass diese sich seinem Status als Schachprofi unterordnete und eine Umgebung für ihn richtete, damit er jener Tal sein konnte, den alle so mochten. Mischa erwartete von den seinen, insbesondere von den Frauen, dass sie ihre Interessen und Karrieren bedingungslos unterordnen, damit er es gut hat. Mit allem anderen war Tal durchaus großzügig, aber dass seine Frau ihre erfolgreiche Bühnenkarriere für ihn aufgeben sollte, war für ihn und seine Familie keine ungewöhnliche Forderung.

Amüsant ist es demgegenüber zu lesen, wie zerstreut Mischa in organisatorischen Belangen der Lebensführung war und wie oft er seine Umgebung mit einer Mischung aus Chaos und Unbekümmertheit zur Verzweiflung brachte.

Im Frühling 1970 machten sich Petrosjan (1. Brett) Kortschnoj (2. Brett) und Tal (Brett 7) nach Österreich auf, um dort die Mannschafts-EM zu spielen (und siegten mit 11,5 Punkten Vorsprung vor den Ungarn).

And again there was a Tal problem. He lost his airplane ticket home. A search of his room found nothing. But teammate Paul Keres was a veteran of Tal crises. "You have to look under the writing table in the waste paper basket", he said. Sure enouh, there, along with the other pieces of discarded paper, was the missing ticket. Tal was always losing valuables.
On another occasion, the team members were already aboard a plane when their leader, Alexander Kotov, asked for passports. Tal was the only one who could not find his. "Why is there always a problem with you?" Kotov exclaimed. "Look, my passport is always in its place." Then he reached into his pocket and pulled out a passport. But it was Tal’s. Kotov’s passport was found in the lining of Tal’s raincoat. And no one could figure out how that happened.

Gibt es eigentlich gesammelte WM-Berichte Tals? Er bekam einmal als Berichterstatter während des WM-Kampfes Petrosjan-Spasski zu seinem Entzücken zwei Protest-Zuschriften. In einem Brief wurde er bezichtigt, oft zugunsten Petrosjans zu kommentieren. In der anderen Zuschrift wurde ihm vorgeworfen, er sei ja wohl eindeutig auf Seiten Spasskis. Als Botwinnik gefragt wurde, wer aus seiner Sicht der objektivste WM-Berichterstatter sei, sagte Michail Moissejewitsch: "Tal."

Großmeister Soltis ist stark und kompetent genug, um die Finessen am Brett zu erklären und zeigt, was Tal für Schwierigkeiten am Brett gegen Kortschnoj erlebte. Auch Keres war von Tal nicht einfach zu überrumpeln. Soltis hat sehr viele unterschiedliche Bücher geschrieben. Manche richten sich eher an jene, die erst kurz den Anfänger-Status hinter sich gelassen haben, aber vor allem jene Titel der letzten Jahre sind immer besser geworden. Vor allem Titel wie "Bobby Fischer rediscovered", "Why Lasker matters", "Your Kingdom for my Horse" (über den Figurentausch) und "Rethinking the Chess Pieces" haben die vermittelnde Kompetenz von Soltis demonstriert.  Sehr zu empfehlen ist für Spieler unter DWZ 2100 auch "100 Chess Master Trade Secrets".

In der vorliegenden Viererbiographie finden sich 207 Partien und Fragmente, und es handelt sich dabei nicht um das prominente Material - die bunten Hunde bleiben zumeist lediglich erwähnt. Vielmehr hebt Soltis die Partien hervor, die etwas Spezifisches erklären. Allerdings ist es beim Lesen fast unmöglich, sich nicht gleich auch noch jene prominenten, lediglich erwähnten Partien in der Datenbank aufzurufen und nachzuspielen.

Dramaturgischer Höhepunkt der Erzählung ist eindeutig der WM-Kampf '72 in Reykjavík. Allerdings wird klar, dass bereits beim Kampf UdSSR gegen den Rest der Welt bei den Sowjets so manches unrund läuft. In Belgrad im Jahr 1970 liegen die Nerven der Sowjets blank. Die Hälfte der Spieler grüßt einander nicht. Geller und Petrosjan sind inzwischen verfeindet, Kortschnoj hat sich mit so gut wie jedem Kollegen angelegt, und er versucht, mit dem Eintritt in die Kommunistische Partei sein Leben als Schachprofi zu erleichtern. Tal wird durch permanente gesundheitliche Krisen immer wieder zurückgeworfen – und Spasski? "He reigned but he did not rule." Immerhin wendet sich Weltmeister Spasski couragiert gegen die Funktionäre, deren befohlene Mannschaftsaufstellung die Moral des Teams sprengt. Aber Spasskis Vermittlungsversuche bleiben folgenlos. Botwinnik ist außer sich, weil er an Brett acht spielen soll. Einzig Tal nimmt seine Aufstellung am neunten Brett gelassen hin.

Eindringlich gelingt die Schilderung der Rebellion Spasskis gegen die autokratische Obrigkeit. Der Weltmeister sperrt sich auch gegen die kumpelhaften Avancen des leitenden Schachfunktionärs der Sowjetunion. KGB-Oberst Viktor Baturinski, oder der “Schachführer”, wie Spasski ihn nennt, bot das freundschaftliche Du an. Doch Spasski bat darum, von Vertraulichkeiten Abstand zu halten. Die Konflikte um die vielen Zurechtweisungen, Reisebeschränkungen und Bevormundungen hatten den ohnehin phlegmatischen Champion demotiviert. Selbst der WM-Titel konnte ihm nicht das Maß an Freiheiten verschaffen, das er sich so ersehnte.

So wie Soltis es erzählt, verkörpert das Quartett die vier Temperamente: Kortschnoj der Choleriker, Tal, der Sanguiniker, der Phlegmatiker Petrosjan und der melancholische Spasski. Nicht viele werden gewusst haben, wie sehr Borya Wassiljewitsch zum Trübsal neigte. Als Bondarewski ihm nach dem Titelgewinn zu motivieren versuchte und sagte: "Now you can arrange your own life: enter the Party, become editor in chief of 64, travel to the Damansky Peninsula." (Spasskis Lieblingsferieninsel an der Grenze zu China.) "No", entgegnete Spasski seinem Trainer. "That’s not for me."

Aber es wäre falsch, diese vier Ausnahmespieler auf diese Klischees zu reduzieren, und wir erfahren auch, wie das Quartett voneinander lernte, die Eigenschaften des Anderen übernahm, wegen der Rivalität und Konkurrenz in der Gemeinschaft stärker wurde und wie ambivalent das Verhältnis der Vier zueinander blieb. Spasski sagte über Kortschnoj, er stelle die Figuren anfangs alle falsch auf und korrigiere dies im Laufe des Spiels, das sei halt sein Stil. Kortschnoj hingegen behauptete, Petrosjan und Spasski könnten ihn nicht leiden, weil er die Turniere gewinnen würde, bei denen auch diese als Weltmeister teilgenommen hatten. Soltis bemerkt allerdings dazu, dass die Turnierergebnisse wohl anders aussahen.

Dieses Buch verdichtet die Geschichte des sowjetischen Nachkriegsschachs auf die Geschichte dieser vier Spieler. Es gab wohl kaum eine vergleichbare Zeit. Im Kleinen erleben wir so etwas gerade in Saint Louis dank der Großzügigkeit des einflussreichsten Schachsponsors der Gegenwart. Aber so löblich und reichhaltig die finanziellen Aktivitäten von Rex Sinquefield sind, der Vergleich hinkt selbstverständlich, denn die Entwicklung in der Sowjetunion war von der Lebensgeschichte geprägt, vom Leiden, vom Kämpfen und vom Durchsetzen in einem Umfeld, das mit heutigen Verhältnissen nicht zu vergleichen ist.

Es ließe sich noch weitaus mehr über dieses Buch berichten, das vielleicht das beste Buch unter den rund fünfzig Titeln dieses Autors ist. Um ihn besser kennenzulernen, empfiehlt sich ein einstündiges Interview, das in einer Podcast-Serie anzuhören ist, wobei er über die Freuden und Leiden des Publizierens, seine Zeit mit Bobby Fischer, seine Haltung zur Elo-Inflation und vielerlei andere Themen spricht - eine anregende Plauderei.

Leider ist dieser Band nicht günstig und kostet mehr als sechzig Euro. Doch Schachbücher dieser Art werden nur selten veröffentlicht. Es wäre schön, wenn die Berliner Landesbibliothek diesen Titel in Ihre Sammlung aufnehmen könnte.

Andrew Soltis:Tal, Petrosian, Spassky and Korchnoi: A Chess Multibiography with 207 Games. Mc Farland, Jefferson, North Carolina, 2019. 394 Seiten, ca. 62 Euro

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