Schachfreunde Grand Prix 2015
Da meine Berichte sich doch erkennbar um Selbstbeweihräucherung drehen (irgendeine Antriebsfeder muss es doch geben, wenn man pekuniär so rein gar nicht profitiert?), dieselbe gleich hier vorweggenommen (und nicht so viel „beating about the bush“ davor, was sich, soeben rasch nachgeschaut, auf folgende sechs hübsche Arten so übersetzen ließe: „Ausflüchte machen“, „sich herumdrücken“, „hinterm Berg halten“, „nicht zur Sache kommen“, „mit der Sprache nicht herauswollen“ und „ nur langsam an eine Sache herangehen“). Am Freitag in Kreuzberg kam ich auf 7 aus 7, am Samstag in Ströbeck waren es 12.5/13, am vierten Brett, hinter Philipp Lerch 9.5/13, Sergej Kalinitschew 12/13, Ulf von Herman 12.5/13), was erneut den Streit entflammen ließ, wer denn nun im nächsten Jahr an 4 spielen dürfe/müsse, Ulf oder ich, und wir beide darauf beharrten, dass jeder das höhere Anrecht darauf hätte. Ich hatte das schlagende Argument, dass er die gleiche Punktzahl am höheren Brett hatte und somit sein Ergebnis eindeutig besser wäre, er also vor mich gehört, während er darauf bestand, ein Mal auf Verlust gestanden zu haben, und zwar klarer als ich, weil es mir, im Konter, nämlich auch einmal passierte.
Kurios in dem Zusammenhang: es wird mit mechanischen Uhren dort gespielt, die Figuren passen selten zusammen. Ich hatte 11 aus 11, als mir das kleine Malheur passierte. Figur weg. König stand auf Matt. Da war nichts mehr zu machen?! Zeit wurde knapper. Gegner wackelte enorm. Plötzlich Figur wieder weg bei ihm, Mattnetz halbwegs aufgehoben. Beide knapp an Zeit, natürlich. Ein Riesenbock von mir. Einzügig Matt! Gegner sieht nicht. Wieder Figur weg, aber spielt keine Rolle mehr, die letzten Sekunden. Mein Gegner haut auf die Uhr, diese fliegt vom Brett und zerspringt auf dem Boden. Er hebt die Reste auf und meint „beide Blättchen sind unten; darf ich Remis anbieten?“. Ich kenne die Regeln überhaupt nicht, nahm aber das Remis lachend an. Durch waren wir ohnehin schon, bei 9 Brettpunkten Vorsprung (welche maßgeblich sind).
Bin grad ein bisschen aus dem Takt gekommen. Wie lautete die Überschrift gleich noch? Ich schau grad mal. Schachfreunde Grand Prix. Ach ja.
Die Kapazitätsgrenze war auf 95 Teilnehmer angesetzt. Die Lokalität bei den Schachfreunden, in der Bülowstraße, schon sehr gut geeignet, hell, geräumig und es kommt viel Luft herein (ist im Rathaus nicht ganz so leicht mit Letzterem). Da die Woche gut ausgefüllt war (man bedenke, dass man von Kreuzberg am Freitag nicht vor 1 Uhr nach Hause kommt, der Wecker aber bereits um 4:30 Uhr wieder klingelt; Ströbeck beginnt um 9 Uhr und ist drei Stunden entfernt; ich kam auf gute zwei Stunden Schlaf), hatte ich mich nicht vorangemeldet. Meine Grandprixpunktausbeute war bis dahin wohl eh schon ausreichend für die Teilnahme am Finale, die Trauben hängen extrem hoch hier sowieso, was einen Geldpreis sowohl wie überhaupt nur einen einzigen der begehrten Punkte (für alle, die noch nicht ausreichend hatten) einzuheimsen angeht, die Erschöpfung ausreichend groß, so dass ich es dem Schicksal überließ, ob ich die Variante „für Kurzentschlossene“ wählte. Sohn Ben-Luca war ebenfalls mit in Ströbeck, erzielte dort in der D-Gruppe am ersten Brett 7 aus 9 (es waren fünf Spieler, die geringe Anzahl Partien Folge der Rotation), was so weit ok war, hatte in der Nacht davor gar keinen Schlaf („Hey, D, was hältst du davon, die Nacht durchzumachen?“) , so dass ich nicht einmal auf ihn zu 100% zählen konnte, was verkörperten Enthusiasmus anging.
Er wollte aber, unbedingt, so dass wir denn doch gegen 9:45 aufbrachen, mit der Absicht, früh zwei der freien Plätze zu ergattern. Denn tatsächlich war es einmal im Rathaus Schöneberg, vor etwa drei Jahren, als etliche Spätkommer tatsächlich draußen bleiben mussten. Meine Anrufe bei Lars Thiede und Rainer Polzin (gegen 9 Uhr) blieben unbeantwortet, da diese sicher bereits „Aufbauarbeit“ leisteten.
Bernhard Riess richtete gerade seinen Computer ein, die Schlange war kurz, es gab gar keine Diskussion, wir waren dabei, zwei der ersten vor Ort Angemeldeten. Alles easy. Gut gefüllt waren die Räumlichkeiten dennoch zu so früher (10:15) Stunde schon, was darauf schließen ließ, dass einige andere „Wackelkandidaten“ ebenfalls der Ansicht waren, a) sehr gerne dabei zu sein und b) dass es eng werden könnte. Entpuppte sich als Irrtum, denn am Ende waren es „nur“ 66 Spieler, die zum Turnier antraten.
Meine Vermutung: die so arg hohe Dichte starker Spieler an der Spitze des Feldes lädt nicht zwingend die zweite bis dritte Reihe der Schachspieler Berlins im Sinne einer „echten Herausforderung“ ein zum Spiel sondern schreckt stattdessen ab. „Meine Abreibungen hole ich mir lieber hier zu Hause im Internet, da bleibt das anonym“ könnte ein Motto sein. Starke Besetzung ist toll, freut jeden Veranstalter, aber nicht jeder Amateur fasst das direkt als Einladung auf mit dem Credo „da muss ich bei sein“. Ist ja nur eine Vermutung, wobei ich dagegen auch keine Abhilfe wüsste. Die Kategoriepreise sind längst Usus, mit gutem Recht, wordurch jeder im Rahmen seiner Möglichkeiten, Preischancen hätte. Auffällig allerdings, wie bereits bei der Turniereröffnung anklang, dass keine einzige Dame den Weg zur Bülow fand. Es waren zugleich sehr wenige Jugendliche, geschweige denn Kinder am Start. Diese bedauerliche Begleiterscheinung härtet den oben angesprochenen Verdacht.
Überhaupt werfe ich ja gerne mal die Frage auf, inwieweit das Messen mit höherrangigen Spielern diese Herausforderung darstellt beziehungsweise inwieweit es einen abschreckt, eine Pleite vorhersehen zu können. Das ist zum Teil sicher vom grundsätzlichen Charakter abhängig. Lieber eine 0 in einer Partie, da man ohnehin die Außenseiterrolle hat, mit der kleinen Aussicht, einem Favoriten ein Bein zu stellen oder lieber ein Sieg gegen einen Schwächeren, der dann vielleicht doch, außer dem Punkt, keine endgültige Befriedigung darstellt? Zugleich hängt es vom Alter ab. Ein Jugendlicher kennt die Grenzen noch nicht, hat sie nicht erreicht, steckt sich nicht einmal welche. Da ist das Messen mit höherwertiger Gegnerschaft, im Aufstieg begriffen, eine Selbstverständlichkeit, und sie ist unbedingt förderlich, Teil der Entwicklung. Spielklassen werden teils mehr als eine in einem Jahr übersprungen, es trennt sich Spreu vom Weizen. Wer mithalten kann, schon in diesen jungen Jahren, gerät zwangsläufig an noch bessere Spieler, wodurch die Grenzen dann allmählich ausgelotet, erkannt und gesteckt werden. Für den älteren Schachspieler gilt dies aber nicht. Er hat seine Grenzen längst kennen gelernt, ist meist, wenn mit etwas, dann mit dem Bestätigen seiner Zahl beschäftigt, nicht aber mit dem Anstieg, dieser wäre Utopie. Warum sich den Gegnern aussetzen, bei welchen man schon spürt, dass sie für diesen einfachen Punkt dankbar sind, sie kurzen Prozess machen, die Pause nutzen, anstatt dass man sie auch nur ansatzweise ins Schwitzen bringen kann, geschweige denn sie zu einer Nachbetrachtung ans Brett bekäme? Vielleicht hat der eine oder andere (weit Unterlegene) gar das Gefühl, für seine unbeholfenen Bemühungen belächelt zu werden?
Spitze also breit, stark, gigantisch, Breite so lala, Geschlechtermix null, Altersmix unausgewogen. Ich und kritisch? Laut Nachdenken darf man doch mal?
Ich gehöre persönlich viel mehr zu der Kategorie „Angsthase“. Ich möchte keine Nullen haben, egal, von welch gigantischem Gegner ich meinen Enkeln später berichten könnte. „Ich hab mal gegen Loek von Wely gespielt.“ „Wie ist es ausgegangen?“ „Ich habe gegen ihn gespielt. Reicht das nicht?“ Für mich eine kleine Überwindung also eine derartige Teilnahme. Mein Freund C. sagte damals in Hamburg, 1982, immer zu mir am Morgen vor der Turnierpartie, als wir ein Zimmer teilten und das Hamburger Schachfestival sehr stark besetzt war: „Dirk, aufstehn, Nuller abholen.“ Würde ich heute antworten: „Nee, kein Bock. Ich bleib liegen.“ (klappte damals übrigens, im Zuge meiner Grenzauslotung und hiesigen Angeberei, sehr selten, den Nuller abzuholen, denn am Ende war ich auf 7).
Turniergeschehen gab es an diesem Sonntag, dem 31. Mai 2015, na klar. Trotz meiner Angsthasenmentalität gibt es ein paar kleinere Lichtblicke, die mir hier und da zeigen, dass ich im Konzert dieser Großen hier dennoch eine der ganz kleinen Geigen in die Hand gedrückt bekommen habe – und ab und zu ein Tönchen von mir geben darf, selbst wenn schief und falsch.
Einmal durfte ich an Brett 3 ran, einmal an 4, letzte Runde an 6. Brett 1 war fast durchgehend fest in Martin Krämers Händen, wobei er nach seiner Niederlage gegen den ganz stark aufspielenden Martin Brüdigam in Runde 7 dies räumen musste, meine ich? Wann immer ich jedenfalls bei Martin B. schaue hat er eine gute Stellung. Wenn man mit ihm eine Variante durchgeht, hat er sie gesehen – nur noch etwas mehr. Ich bin noch immer ohne Sieg gegen ihn, trotz einiger guter Chancen und einiger sensationeller, hier und da chaotischer Partien. Wo sollen die Schwächen liegen, dass er nicht noch weiter oben anklopfen kann? Sympathisch allemal, und immer objektiv, die Chancen des Gegners sehend und richtig einschätzend. Für mich also kein Zufall, dass ihm das Kunststück gelang, den Turnierfavoriten zu schlagen, wobei ich in dem Falle weder eine Stellung noch einen Verlauf kenne. In der letzten Runde das jähe Ende des Durchmarschs, als der Schweizer Gambit Künstler Jakob Meister genügend Reserven aufgespart hatte und Martin in die Knie zwang. Rang 3 dennoch ein gigantisches Ergebnis in diesem Feld, vermutlich Dimensionen einer GM-Norm?
Jakob katapultierte sich so auf 2. Natürlich allen Respekt vor ihm, Schweizer Gambit hin oder her (war aber auch in Lichtenrade, beim Tempelhof-Cup schon so): er hat als GM natürlich alle Voraussetzungen und die nötige Härte, in entscheidenden Momenten voll da zu sein. Martin Krämer setzte sich am Ende doch noch durch, dank besserer Wertung, aber zwei Remisen und eine Niederlage dürften nicht ganz nach dem Geschmack des auf diesem Level Erfolgs verwöhnten sein? Platz 1 ist Platz 1 und dürfte am Ende ausreichend Trost darstellen.
Auffällig noch Werner Reichenbach, von dem ich weiter unten etwas mehr erzähle. Tatsächlich ist er so vital und immer aufgedreht, schaut auf alle Bretter, sieht alles, hört alles, riecht alles, schmeckt alles, weiß alles, dass man meinen könnte, er fiele alle paar Wochen mal in einen Jungbrunnen. Alle anderen im Schlussklassement (bis so etwa Rang 13 herum...) hätten natürlich ebenfalls eine ehrende Erwähnung verdient, lasse ich heute aber mal aus. Was jedoch auffällt bei Blick auf die Rangliste, ist die Vielzahl der Titelträger und deren Anordnung: bis Platz 24 sind alle GM, IM, FM aufzufinden und lediglich zwei Nicht-Titelträger, die sich dazwischen gemogelt haben. Beide keineswegs zufällig, denn Erfolgsgeschichten allenthalben, zugleich beide mit jeder Menge Spielpraxis zur Zeit. Deshalb gesondert erwähnt der 15. Platz von Vitalij Major (wo man ebenfalls weiter unten einen kleinen Auszug aus seinem Turnier bekommen kann, im Duell mit Ben) und René Schildt, der sich von niemandem, auch keinem noch so hochrangigen GM, seine Ideen vermiesen lässt. Er spielt, was er für richtig hält, dabei schon stets auf der Suche nach der ungewöhnlichen Lösung, hat seine Ideen und Pläne, selbst wenn ein Experiment oder ein toller Plan mal total in die Hosen gehen sollte. Genau so charakterisierte ich ihn übrigens schon bei unserer ersten Begegnung vor etwa sechs Jahren, nur hat sich diese Einschätzung mit weit mehr Leben gefüllt. IM Drazen Muse sagte einmal über ihn: „Der Junge ist gefährlich, vor allem hat er Ideen, eigene Ideen.“
Bei der Niederschrift hier hatte ich eigentlich in aller Bescheidenheit zunächst mit der Aufzeichnungen meiner eigenen (und Bens, soweit verfügbar) Partien begonnen. Der nun folgende Teil also dieser ursprüngliche Teil des „Berichts“ (war ja erst einmal nur für mich, weil ich es für wert hielt, einige der faszinierenden Stellungsbilder festzuhalten). Insofern hier nun tatsächlich nur meine Perspektive, die in dem Falle sehr weit entfernt von jener des Turniersieger ist, wegen am Ende Rang 14...
Ab und an zermartert man sich mit Schwarz den Kopf, wie man denn als Elo-Favorit gegen einen (vermeintlich) schwächeren mit Schwarz der Symmetrie entweichen kann, auf das die Partie auch ja nicht Remis werden könnte. Die Folge hier und da: man nimmt Nachteile in Kauf und gerät auf die Verliererstraße. Das meist verachtete System (vermutlich wegen mangelhafter Erfolgsbilanzen) ist das so genannte „Londoner System“. Weiß kann stundenlag absolute Standardzüge machen, mit der einzigen Sorge – welche dann schnell zur Hoffnung gerät – dass der Schwarze schon irgendwann etwas Nachteiliges unternehmen möge.
Ich entschied hier -- aus Vernunftsgründen, vielleicht wegen Unausweichlichkeit, eventuell sogar wegen Selbstvertrauen im Sinne von „die Chance wird schon kommen, so lange du selbst nichts falsch machst“ -- dies nicht zu tun und hielt die Symmetrie aufrecht. Das einzige, was ich mir ausrechnete, als ich den Bauern nach b4 zog, war, vielleicht mal einen Springer nach c3 zu bekommen und vielleicht einen leichten Raumvorteil zu erhalten, welcher auch spät im Endspiel sich auswirken könnte.
Hier nun war es fast so weit. Mein Gegner zog 1. Se5-c6, worauf ich durchaus vorbereitet war, mit der vorhergehenden Abwicklung, und ich zog 1. ... Td8-a8. Nun bleibt Weiß kaum etwas als 2. Tf1-a1, wonach die Partie gleich zu Ende war: 2. ... a5-a4 3. Sc6xb4 a4xb3 0:1.
Nach so einem Finale kann man doch die Erkenntnis gewinnen: sollen sie ruhig alle das Londoner System spielen?! Leichter gewinnen geht jedenfalls kaum.
Falls ich mir Vorwürfe zu machen hätte mit Weiß, im bisherigen Partieverlauf, dann wären es diese beiden: a) ich wählte eine Eröffnung, die forcierten Charakter trägt, die ich aber nicht annähernd kannte, und b) als Konsequenz dessen beinahe verbrauchte ich zu viel Zeit. Er hatte in den letzten Zügen aber gut aufgeholt und von Zeitnot konnte absolut keine Rede sein, insofern war eigentlich alles fast ok. Was klar war: er wollte meine Unkenntnis ausnützen und dachte über einige Züge vorher ebenfalls gründlich nach, erzielte dennoch nur Teilerfolge im Sinne von „Vorteil Schwarz“, denn die Stellung oben ist noch immer ok für Weiß. Der letzte Zug war g6-g5 gewesen, natürlich, er hatte d4 genommen und ich f2-f3 geantwortet. Meine lächerlichen „Berechnungen“ nach g6-g5 gingen nun nur so weit, dass ich c6 zurückbekäme indem wir die Damen tauschten, der Springer ziehen müsste und c6 weg wäre.. Allerdings zog ich hier á tempo (nein, das ist nicht gut, das sollte man nie machen und bei 6 Minuten gegen 5 Minuten auf der Uhr ist lange keine Notwendigkeit gegeben), Selbst da ein Haken vermutlich, aber viel schlimmer, dass ich nach 1. Df4-e5? Dd4xe5+ wegen Gabel auf g3 direkt das Handtuch warf.
0:1.
Ein ziemlich übler Rückschlag, zumal ich mich eigentlich gut fühlte und sauber rechnete. Warum passiert Derartiges immer wieder, wenn man gegen einen höher bewerteten Spieler spielt? Das ist viel mehr die Frage, die man sich stellen muss. Immer cool bleiben, so sollte das Motto sein, und nüchtern und mit Vernunft die Stellungsgegebenheiten berücksichtigen, so gut man es eben kann. Der größte Fehler: á tempo ziehen, nach dem Motto „Na und? Habe ich doch gesehen. Nimm diesen hier!“ ist einfach nur blödsinnig, dumm. Geschehen ist es dennoch.
Falls ich in der Stellung oben das viel besser 1. Df4-c7 gespielt hätte, wäre aus meiner Sicht von „Vorteil Schwarz“ keine Rede mehr. Der Se4 muss ziehen, dann nimmt die Dame auf c6 mit Schach. Irgendwer muss dazwischen. Falls es der Turm täte, käme Dc8+, mit Zugwiederholung. Falls es der Springer täte, könnte man gar Dd6 ins Auge fassen, was die Rochade unterbindet. Wo Vorteil?
Werner hatte mich total überspielt. Das in etwa nur ein Beispiel. Möglich, dass es vorher noch einfacher war, möglich, dass es etwas später noch einfacher gewonnen war. Es war der Charakter der Stellung, den ich zeigen wollte. Schwarz hing durchgehend total in den Seilen. Dass ich den Damenflügel überhaupt zusammen halten konnte, grenzt schon an ein kleines Wunder. Dafür aber einen Turm auf a6 parken zu müssen, ist sicher auch nicht jedermanns Sache. Dennoch eine in letzter Zeit von mir schon mehr und mehr angeeignete Eigenschaft: Zähigkeit. Wenn man so oft neben oder mit Sergej in einem Turnier spielt, dann kommt das wohl zwangsläufig? Auch Robert Hübner erklärte es mir damals mal, was ihn dazu führte, schlechte Stellungen zu verteidigen, mit Zähigkeit. Er nannte es „Trotz“, welcher dahinter stünde. Klar irgendwie: man trotzt der gegnerischen Überlegenheit. Das würde so schon drin stecken. Aber er meinte noch mehr dies: der Gegner wähnt seine Stellung aufgrund optischer Eindrücke (?!)glatt gewonnen. Da lohnt es schon, ein paar Verteidigungsressourcen hervorzukramen und sie ihm vorzusetzen, dass man hinterher wenigstens sagen kann: „Siehst du, so einfach war es nun auch wieder nicht.“ Ich kann das gut nachvollziehen, inzwischen immer besser. Wie herrlich ist es doch, einen gänzlich siegessicheren Gegner mit einer derartigen Ressource auszukontern? Es ist zugleich das Brettverhalten, welches diesen Trotz hervorrufen kann. Er schaut links, er schaut rechts, er schaut in die Luft oder auf die Turniertabelle, kalkuliert bereits seine Turnieraussichten, diesen Punkt hier eingerechnet, nimmt nur noch im Augenwinkel den verzweifelt aber sinnlos sich wehrenden und ohne Ende Zeit verbrütenden Gegner wahr – und urplötzlich ist er selbst es, der zu Schwitzen anfängt und seinen Kopf in den Händen vergräbt, dass ja keiner merkt, dass er bereits rot angelaufen ist?
Mit all diesem hat Werner herzlich wenig zu tun. Er weiß was er tut, macht seine Züge und ist technisch im Grunde sehr stark. Der Zeitvorteil hielt sich, bei mir ging es auf unter eine Minute, während er noch gut anderthalb hatte, dennoch willigte er in eine Zugwiederholung ein, weil ich noch immer fest und sicher stand.
In etwa so muss es gestanden haben, als ich mit Ta8-b8 antwortete, er den Läufer nach d1 spielte um a4 zu attackieren, ich mit Ta8 deckte, er wieder mit Lf3 den Turm angriff. Hin und her, etwa drei Mal, dann spürte man schon, dass er keinen Plan hatte, weiter zu kommen. Irgendwann mal könnte ja auch Schwarz mit b6-b5 etwas anzetteln. Deshalb hier per Zugwiederholung ½:½.
Eine glückliche Rettung, eine verdiente Rettung? Als hartnäckiger Verteidiger sage ich natürlich: verdient. Werner hat aber seine ganze Kraft demonstriert.
Ein paar Runden später kam ich gegen René Stern, an Brett 3 aufgerückt, mit je 4.5/6. Bereits etliche Schlachten mit ihm geliefert, schon ganz früher, nicht immer nur mit schlechten Ausgängen für mich, im Gegenteil, mit einer vermutlich oberhalb der von der Elo-Differenz errechneten Erwartung liegenden Ausbeute für mich.
Man soll ja den Bauern b7 niemals schlagen, nicht einmal, wenn es gut ist. Diese Regel habe ich nicht beherzigt, für den Moment vergessen, verdrängt. Hier hatte ich nun den Salat. Meine letzten beiden Züge waren nicht unbedingt die besten, vor allem die kurze Rochade grad eben nicht, davor das dümmliche Springer b1-c3. Schon während der Ausführung durchzuckte es mich: was ist eigentlich mit Lc7xh2+? Schnell berechnete ich, eigentlich zu spät, aber man könnte ja auch sagen, dass das Schachgefühl einen hier nicht im Stich gelassen hat? „Die Stellung ist sicher, da geht nichts.“, vom Rückenmark, und konkrete Zugfolgen können das nur bestätigen? Es wäre fadenscheinig, aber ab und an gibt sich das Gewissen mit so etwas zufrieden...
René hat sicher ähnlich gerechnet: 1. ... Ld6xh2 2. Kg1xh2 Sf6-g4+ 3. Kh2-g3 Dd8-g5 4. f2-f4 Dg5-g6 und zum Beispiel f4-f5 gefolgt von Sc3-e4 sollte ziemlich klar für Weiß gewinnen. Deshalb spielte René den offensichtlichen Zug 1. ... Ta8-b8. Das Problem war, dass ich hier ursprünglich der Ansicht war, den zweiten Bauern nehmen zu können auf a7. Nur rächte sich in dem Moment die Unterlassungssünde des vorherigen Zuges. Denn: auf 2. Db7xa7, so erahnte ich, würde nun 2. ... Ld6xh2+ funktionieren, mit zumindest dieser Möglichkeit: 3. Kg1xh2 Sf6-g4+ 4. Kh2-g3 Sg4-e5 und irgendwie kann man sich überhaut nicht mehr wohlfühlen mit Weiß, wegen des Tempos auf den Läufer b2. Deshalb musste ich nun auf die Variante eingehen, die bereits klar günstig ist für Schwarz. Mal wieder bewiesen: b7 nehmen ist Müll?!
2. Db7-f3 Sd7-e5 3. Sc4xe5 Lc7xe5 4. Ta1-b1 Dd8xd2. Bauer zurück und b2 hängt, Aktivität und Initiative klar bei Schwarz. Ob die Stellung überhaupt noch zu retten ist?
Die nächsten Züge erst einmal ohne eingehendere Kommentierung. Es wird gleich richtig spannend...
5. Tf1-d1 Dd2-c2 6. Td1-c1 Dc2-d3 7. Df3-d1 c5-c4 8. Dd1-c2? Tf8-c8 9. Dc2xd3 Hier hatte ich schon ein bisschen gerechnet. Ist eine Figur weg? Es sieht fast so aus nach 9. ... c4xd3
Nun rechnete ich präziser. Allerdings sind die Möglichkeiten eh arg eingeschränkt. Es droht so gut wie alles. Aber das kleine Wunder hier: 10. Sc3-d1 ging. Sowohl mit der Variante 10 .... Le5xb2 11. Tb1xb2! war erst einmal nicht direkt etwas zu holen, wegen der schwarzen Grundreihenschwäche und weil der weiße Springer, so miserabel er auch steht, dennoch zumindest die weiße Grundlinie unterbricht, als auch mit dem gewählten 10... Tc8xc1 11. Tb1xc1 Le5xb2 12. Sd1xb2 d3-d2
Wir hatten diese letzten Züge beide sehr rasch ausgeführt, weil wir offensichtlich die gleiche Variante berechnet hatten. Als ich nun den Rettungszug 13. Tc1-c2! ausführte, auf welchen ich natürlich sehr stolz bin, der aber zugleich aus rein schachlicher Sicht eine gewisse Ästhetik hat, wie ich finde, zog er noch immer á tempo den Zug 13. ... Sf6-e4. Das heißt: er hatte das gesehen und versprach sich dennoch hiervon den Sieg. Selbstverständlich traue ich René das immer zu und es macht ja auch seine überlegene Klasse aus. Sprich: ich habe damit gerechnet, noch einmal überrascht zu werden und vielleicht hielte die Stellung doch nicht? Ich hatte diesen Zug zwar gesehen, aber mich nun auf die Verteidigung 14. f2-f3 gestützt. Ich bilde mir ein, in letzter Zeit kaum noch zu zucken zu einer Figur sondern immer bis zur Ausführung eines Zuges besonnen zu bleiben, bis man sicher ist: das ist der Zug, den mache ich. Hier war es eine Ausnahme. René saß am längeren Hebel, hatte besser gerechnet. So ist es einfach. Da ich aber noch nicht gezogen hatte sondern zur gezuckt, war das Unheil temporär in Grenzen zu halten. Denn der Zug 14. Kg1-f1 leistete die erforderlichen Dienste, und zwar einzig, gegenüber 14. f2-f3, wonach der Großmeister vorbereitet hatte 14. ... g7-g6 15. f3xe4 Tb8xb2 16. Tc2-c8+ Kg8-g7 und Schwarz gewinnt.
Noch immer aber hatte Schwarz die besseren Karten, nur auf der Uhr war inzwischen bei mir das kleine Plus. Es folgte 14 ... f7-f5 15. Kf1-e2, aber nun nutzte René, bei einer knappen Minute angekommen, die letzte Ressource, um wenigstens ein kleines Stellungsplus zu bewahren. So geht einem das gegen Großmeister.
14. ... Se4xf2! und das war vermutlich denn doch der Überraschungen eine zu viel. Ausgerechnet hier hatte natürlich die reine Blitzphase eingesetzt, wobei ich ja das Plus hatte, von etwa einer halben Minute. Wozu setzt man die ein, wenn nicht hier? Jedenfalls zog ich prompt, was auf einen nicht erwarteten Zug zwar eine Art Reflex, aber dennoch die größte Dummheit ist. Man möchte so tun, als ob man es gesehen hat, um sich keine Blöße zu geben. Das ist der Fehler. Was nützt es, wenn der Gegner zwar „nicht merkt, dass man das nicht gesehen hat“, aber der Antwortzug ein grober Bock ist? Ganz klar: ich musste hier den d2 nehmen, mit König oder Turm, wonach der Springer nach e4 zurückkehrt und die leicht vorteilhafte Bauernstruktur den Zeitnachteil kompensiert hätte?!
15. Ke2xf2? Tb8xb2 16. Tc2-c8+ Kg8-f7 17. Kf2-e2 d2-d1D+! 18. Ke2xd1 Tc2xg2.
Das Endspiel natürlich total verloren jetzt, seine Sekunden um die 45, ich noch immer über eine Minute. Ich wüsste zwar die Zugfolge noch, aber sie dürfte nicht übertrieben interessant sein. Schwarz gewann den zweiten Bauern, dafür kam mein König frei. Die Mehrbauern waren allerdings nur h- und a-Bauer. Es hätte sogar zum Endspiel h+f gegen nix kommen können. René kam mir aber entgegen und stellte seinen f-Bauern ein. Nun war es a und h gegen e. Ich hatte den König zur Unterstützung für meinen e-Bauern, hatte aber allmählich den Zeitvorteil für die komplizierte Verteidigung hergegeben. Wir waren um die 20 Sekunden, bei mir noch immer hauchdünn mehr, aber es drohte, zu kippen. Dann opferte er seinen Turm gegen meinen e und was immer er gedacht haben mag, aber hier wusste ich Bescheid:
35. Td1-h1! und René musste zumindest lächeln. Es standen etwa 12 gegen 16 Sekunden auf der Uhr, wir führten aber noch aus 35. ... Kb3-b2 36. Th1xh2+ Kb2-b1 37. Th2xa2 Kb1xa2 und nur noch Könige auf dem Brett wirft bei mir stets diese Frage auf: warum eigentlich Remis, was wäre bei unmöglichem Zug in der Stellung, denn ein solcher verliert doch immer? Wir wollten es nicht darauf ankommen lassen...
½:½.
In der nächsten Runde das Kräftemessen mit einem weiteren GM, Mannschaftskamerad Sergej Kalinitschew. Auch er mit positiver Bilanz gegen mich, keine Frage, dennoch einer aus meiner Sicht vorzeigenswerten. Wenn ausgespielt, oftmals auch ein Sieg für mich darunter. Sehr viele Remisen, einige davon nicht ausgespielt, zugegeben, aber auch einige Siege, durchaus welche in wichtigen Partien. Hier gab es absolut kein Taktieren. Wenn einer was wollte, dann konnte es maximal einer sein, das aber nur bei Sieg. Er hatte zudem Weiß, so dass ganz klar war: er will gewinnen.
Die ganze Partie lief eigentlich ziemlich rund für mich. Sergej hatte natürlich, wie üblich, den einen Vorteil herausgeholt: er lag auf der Uhr. Allerdings war meine Zeit noch lange nicht ernsthaft knapp, etwa bei fünf Minuten hier.
Die Stellung selbst sieht verheißungsvoll aus, war aber vorher vielleicht schon mal noch besser? Wie auch immer, hier war ich dennoch verhalten optimistisch, was den Partieausgang anging. Mein Zug davor war Le7-g5, da ich berechnet hatte, dass das Springerendspiel gewonnen sein müsste, wenn Weiß auf g5 tauscht (Antwort: h6xg5) und Da8-e4 folgen lässt, da der Bauer b2 fällt und von dort aus c4 angegriffen ist, im Anschluss auch noch a3 hinge (da fällt mir doch direkt die direkt das kleine, mal wieder typisch kreative englischsprachige Wortkonstrukt für ein: wenn der Springer nun b2, c4, a3 hintereinander verspeisen würde, wäre dies zutreffen: „The knight goes into Pacman mode“ Hap, hap, hap!).
Sergej nutzte Teile seines Bedenkzeitvorteils, um hier 1. Sd2-f3 rauszuhauen. Kleine Falle? Nein, es werden nur auch durchaus taktische Ressourcen genutzt, um eine Verteidigungsfigur heranzuholen. Meine Antwort lag auf der Hand. 1. ... Lg5-e3+ 2. Kg1-g2. Nun fand ich 2. ...Df5-g4 und sah praktisch nur noch schwarz. Für ihn. Meine Figuren waren es ja schon. Noch längst waren aber nicht alle weißen Ressourcen ausgeschöpft. Möglich nur, dass der einfache Bauernraub auf b2 auch hier ausgereicht hätte für klaren schwarzen Vorteil? Sergej fand das schlichte 3. Se4-d6, um nach 3. ... Sd3-f4+ 4. Kg2-h1 Dg4-h3 5. Da8-e4+ Sf4-g6 mit 6. De4-d3! Das Matt auf f1 einfach zu decken. Nun war ich wieder im „Zugzwang“.
Das Matt gedeckt, der Freibauer blockiert, der schwarze Springer defensiv gefesselt anstatt am Matt mit zu arbeiten oder den Freibauern zu unterstützen? Hier musste man als Zuschauer wohl schon die Partei wechseln? Na, ganz so schlimm ist es wohl noch nicht, zumal man ja, wenn nicht mehr Matt setzen, die Dame wieder anderweitig verwenden könnte, mit dem Zug6. ... Dh3-e6 zum Beispiel. Mich faszinierte aber die Variante, die ich nach 6. ... h6-h5 gesehen hatte. Ein ganz kurzes Zucken war seinerseits auch festzustellen, natürlich zu dem sich aufdrängenden taktischen Trick 7. Dd3xe3 nebst Gabel auf g5. Berechnet hatte ich darauf 7. ... Dh3-f1+ 8. De3-g1 Df1xf3+ mit mindestens Dauerschach, sah aber schon etwas weiter, mit 9. Dg1-g2 Df3-d1+ 10. Dg2-g1 Dd1-c2 und Weiß ist ziemlich hilflos. Sergej sah das sicher auch und spielte viel stärker 7. Sd6-e4!. Vielleicht werde ich doch irgendwann weich?
Sah so aus. Denn das offensichtliche und geplante 7. ... Kh7-h6 verwarf ich zugunsten einer bereits schon kindischen Falle mit 7. ... Kh7-g8?. Dachte ich ernsthaft, dass er den Springer g6 nun schlagen würde, um auf f1 Matt zu werden?
Sein Zug war 8. Se4-g5 und nun habe ich das Glück, dass es zum Remis noch immer reicht nach 8. ... Le3xg5 9. Sf3xg5 Dh3-g4 10. Dd3xg6
10. ...Dg4-d1+ und obwohl wir beide nur konzentriert weiter spielten und keiner etwas von Remis sagte, war es unvermeidlich. 11. Kh1-g2 Dd1-e2+ 12. Kg2-g1 De2-e1+! (nicht etwa auf d1) 13. Kg1-g2 De1-e2+ 14. Kg2-g1 De2-e1+ und irgendwann schaute er zu mir auf, wir reichten uns die Hände und besiegelten so das
Remis.
Im Prinzip spielte ich eine sehr starke Partie in Runde 9. Das war eine aus einem Sizilianer mit 3. Lf1-b5 entstandene, einem Spanier verwandte Stellung, in welchem wir beide durch geduldiges Lavieren versuchten, unsere Pläne durchzusetzen. Dabei gelang mir dieses Ziel als erstem, wobei ich sogar an beiden Flügeln gut stand.
Sein Plan f6-f5 ist in ziemlich weiter Ferne. Der Alternativplan, den Läufer über h6 abzutauschen hatte mir das Spiel am Damenflügel eröffnet, auf welchem seine Dame nun, da zum Läufertausch ansetzend, fehlte. Ich war überzeugt davon, hier alles im Griff zu haben. Ganz daneben gelegen habe ich sicher nicht. Hier geschah also: 1. ...Lg7-h6 2. Le3xh6 Da ich nun schlagen konnte auf h6 und die Dame wegen d6 nicht zurücknehmen konnte, hielt ich diese Entscheidung für klug. Viel klüger wäre es aber gewesen, schätze ich mal, den Läufer drauf zu behalten, da er ja den Bauern bis a7 schützen würde. Entweder 2. Le3-f2 oder sogar 2. Le3-b6, wonach man einfach b5 einsammeln könnte (aber nicht muss) wären wesentlich stärker. Der Zug 2. ... Lh6-f4 wird natürlich mit 3. Sg3-e2 abgefedert.
2. ... Sg8xh6 Der Springer steht auf h6 zwar am Rand, aber gar nicht mal so übel, da er f6-f5 stützt. 3. Tf1-c1 Dd8-b8! Da die Dame nun nicht über h6 ins Spiel konnte, sucht sie neue Möglichkeiten. Ich fand meinen Zug 4. Tc1-c2 zwar noch immer gut, hatte aber doch nicht richtig aufgepasst, denn die Aktivierung von Schwarz geschieht mit tempo. 4. ...Db8-a7+ 5. Kg1-h2 Da7-e3 6. Db4-d2 De3-d4 7. Dd2-c3 Dd4-e3
Hier bot mein Gegner mir Remis an. Ja, er hat recht damit. Er hat gewisse, sehr gute Fortschritte erzielt, während ich auf der Stelle trat. Die Dame ist nun aktiv, der Vorstoß f6-f5 liegt in der Luft. Allerdings sah es auf der Uhr deutlich besser für mich aus, zugleich träumte ich von 6.5 Punkten. 8. Ld3-f1 De3-g5
Erstmals eine Gewinndrohung, mit Dg5-h4+. Das ist schon in gewisser Weise ein Zeichen. 9. Kh2-g1 f6-f5 Da ist es passiert, Schwarz hat Spiel, das weiße stagniert. Dennoch wäre hier noch immer alles in Ordnung, wenn man nur die Ruhe bewahren könnte. Alles runterholzen auf f5, dann besteht der Vorteil weiterhin im Bauern auf a5, während der eigene König nicht so leicht angreifbar ist, zumal man den Turm a8 mit dem Freibauern bindet. Dennoch sind inzwischen alle drei Ergebnisse möglich, keine Frage. Da ist was schief gelaufen bei Weiß -- und man spürt es, ist aber noch nicht bereit, zurück zu rudern. Jetzt geraten die Dinge gleich außer Kontrolle. Allerdings war seine Zeit schon ziemlich bedrohlich an einer Restminute heran.
10. e4xf5 g6xf5 11. Dc3-d2 Dg5-h4
Die wohl letzte Ausfahrt, auf halbwegs normalem Wege zumindest zu einem Teilerfolg zu kommen, indem man nun 12. Sg3xf5 spielt. Es sind genügend weiße Figuren da, um den König zu verteidigen und der a-Bauer bleibt ein Trumpf. Denkbar aber schon, dass Schwarz hier die besseren Chancen hat. Schachprogramm? So was kenne ich nicht. Ich sah übrigens selbst sogar nach 12. Sg3-h5, dass die Stellung nun verloren wäre. Es war aber genau der Moment, wo ich meinte, die Zockphase einleiten zu können. Dazu müsste der König allerdings überleben. Tut er das?
12. ... f5xg4! Natürlich so! Da geht eigentlich gar nichts mehr für Weiß. Nein, zur Umkehr zu spät, also weiter zocken. 13. Dd2xh6 g4-g3! 14. Lf1-d3 Dh4-h2+ 15. Kg1-f1 Dh2-h1+ 16. Kf1-e2 Dh1xg2+
Vielleicht wäre hier eine Gelegenheit, den Bedenkzeitvorteil einzusetzen? Was kommt eigentlich auf 17. Ke2-e1? Man sollte speziell in solchen Phasen dem Gegner möglichst einen unerwarteten, aber noch immer vertretbaren Zug vorsetzen. Auf 17 .... Dg2-g1+ käme jedenfalls 18. Ld3-f1 und g3-g2 geht gar nicht wegen Tc2xg2.
17. Ke2-d1 Dg2xf3+ 18. Ld3-e2? Es war ja nicht so, dass ich nicht gesehen hätte, dass es nun verloren wäre, und das total. Bei um die 30 Sekunden beim Gegner jedoch muss man eben das Matt so lange wie möglich hinauszögern. Dazu sicher ein anderer Zug (Kd1-d2 oder sogar Kd1-c1 viel besser geeignet). 18. ... Df3-h1+ 19. Kd1-d2 Dh1xa1 20. Dh6xd6? Noch so ein total dämlicher Zug. Mit 20. Sh5xg3 konnte man doch eine Figur heranholen UND den schlimmen Feind g3 beseitigen? Nein, das nennt man „Kontrollverlust“. Der Bauer e5 ist gedeckt von a1 aus. 20. ... g3-g2 21. Tc2-c3 Da1-b2+ 22. Kd2-d3? Ld7-f5+ und gleich Matt.
0:1.
27 Sekunden übrig bei ihm. Da gehen eine Menge Züge. Möglich dennoch, dass bei hartem weißen Widerstand in den letzten Zügen die Zeit nicht gereicht hätte. Ganz klar ist aber auch: einen Zeitsieg möchte man nur im höchsten Notfall. Die Stellung hatte ich misshandelt und den Vorteil aus der Hand gegeben, ins Gegenteil verwandelt. Im Falle, dass es gereicht hätte, hätte man sich auf verschiedene Arten trösten können. „Ich habe dem Gegner Schwierigkeiten gemacht, so dass er die Zeit nicht grundlos verbraten hat“ oder auch „da fragt später keiner mehr nach, wie man die Punkte eingefahren hat.“ Befriedigen können diese Antworten aber nur bedingt.
Sergej Kalinitschew befand sich in der letzten Runde in einer ähnlich misslichen Lage wie ich, als ich erstmals (nach Beendigung meiner Partie) raufschaute. Da Rainer genau so wenig Zeit wie mein Gegner hatte (genau 27 Sekunden) und Sergej gut zweieinhalb Minuten, kann man erkennen, wie groß mein Zeitvorteil gewesen sein muss, denn es war ja auch noch Zeit vergangen seit meiner Aufgabe.
Rainers letzter Zug war Le3xd4 mit der Idee, wenn Schwarz diesen schlüge, mit Dh2-h8+ sofort zu gewinnen. Das könnte sehr schnell Matt werden für Schwarz. Allerdings stand dem Schwarzen ja die Möglichkeit Tc2xg2+ zur Verfügung. Zwei Figuren weniger, dafür zwei Bauern, der Gegner nur noch die wenigen Sekunden. Das müsste man doch machen, jeder andere Zug viel zu gefährlich? Sergej schien gründlich zu rechnen, denn bald bei ihm auch nur noch eine gute Minute auf der Uhr. Sein Zug war 1. ... Db2-b7, was der Gegner sicher nicht erwartet hatte. Es folgtenach kurzem Nachdenken 2. Dh4-h8+ Ke8-d7 3. Ld4-e5+? Die Folge des Überraschungseffekts. Der Läufer müsste doch nur nach f2 zurück und es wäre bald Matt? Nicht das Feld c7 gilt es, abzuschneiden, sondern das Feld c5. Weiter geschah 3. ... Kd7-c6 4. Dh8-e8+ Kc6-c5! und Weiß hatte nicht mal mehr ein vernünftiges Schach. Es kam stattdessen 5. Sf1-e3 Tc2xg2+ 6. Kg1-f1 und Sergej wollte die Dame beinahe schon nach b5 setzen (wo sie hätte getauscht werden können, Ergebnis vermutlich ohnehin unabänderlich), stellte sie dann aber doch nach f3 6. ... Db7-f3+.
Ist das nun der Unterschied zwischen GM und FM oder wie? Meiner Meinung nach hat er es gut gemacht mit dem Nachdenken. Das hilft immer, denn es gibt dem in Zeitnot befindlichen Gegner auch das Gefühl, dass es gleich einen komplizierten, unerwarteten Zug geben könnte, zugleich, dass es sich hier lohnt, nachzudenken, was mit bedeutet „hier ist noch was drin“. Der Zug Db2-b7 war aber nicht gut, so dass man dann bald ins Philosophische übergehen müsste. Nachdenken hilft sogar dann, wenn man dadurch eine schlechte Lösung findet durch den Verwirreffekt? Ich glaube da grundsätzlich mehr an die Chaostheorie: kleinere Zufälligkeiten bestimmen permanent, wie was wo wann weiter geht. Beim Schach (wie beim Fußball oder sicher jedem anderen Sport) gibt es Entscheidungen, die den Spielausgang, rein theoretisch, ungünstig, also zum eigenen Nachteil, beeinflussen, die in der Auswirkung aber unauffällig bleiben können. Sprich: Sergej verringert seine Chancen „objektiv“ mit dem Zug Db2-b7 von 50%, die er mit Tc2xg2+ auf einen für ihn günstigen Ausgang gehabt hätten auf 22% -- aber die 22% treten ein! Noch gröber (aber natürlich nicht nachweisbar), dass es denkbar wäre, dass die 50%, falls er diese bessere Chance „beim Schopfe gepackt hätte“, nichtrealisiert worden wären. Man macht es also richtig und verliert, man macht es falsch und gewinnt. Genau so gut möglich aber, dass es umgekehrt geschieht. Man macht es richtig und in der Auswirkung ist es nachteilig.
Vor allem besteht die Neigung, falls eine derartige Entscheidung einen positiven Ausgang nimmt, in ähnlichen Situationen vergleichbar zu reagieren. Einziger Gradmesser für die Richtigkeit einer Entscheidung ist das Ergebnis. „Judging by results“ ist ein von mir schon häufig und früher beobachtetes, aber zugleich kritisiertes Phänomen. „Der Zug war richtig, denn ich habe ja gewonnen und mehr als das geht nicht in einer Partie.“ Weiter kommen tut man dann am besten, wenn man die eigenen Entscheidungen auch im Erfolgsfalle kritisch unter die Lupe nimmt.
Mein Sohn Ben-Luca hat sich wirklich in letzter Zeit weiter erkennbar verbessert. Die Eröffnungsexperimente haben die positive Begleiterscheinung, dass er vom ersten Zug an über die Stellungen nachdenkt. Da wird niemals mechanisch irgendetwas heruntergespult, allein schon wegen Unmöglichkeit aufgrund von Unwissenheit. Das hat weiterhin zur Folge, dass eine gegnerische Abweichung einen nicht aus der Fassung bringen kann. Man wüsste ja nicht einmal, dass der Gegner abgewichen ist, vor allem: wovon eigentlich? Ich erkenne zugleich an, dass man hier oder da schon mal eine Variante kennen darf, sogar „erlernen“ ist nicht verboten. Grundsätzlich tut es aber gut, auch im Frühstadium eigene Ideen zu entwickeln. Dass es dabei hier und da mal geschieht, dass er die Grundprinzipien verletzt, wird sich nachteilig auf die Ergebnisse auswirken, aber (dadurch?) den Lerneffekt steigern. „War nicht gut, ich bin eingegangen, mache ich nicht wieder“.
Eine kleine Tragikomödie ereignete sich in Runde 5. Schon beim Lichtenrader Herbst hatte Ben Vitalij in einer ganz starken Partie die Stirn geboten und ein Remis herausgeholt. Hier war es wieder nahe dran. Ziemlich nahe sogar. Noch näher, wenn man es genau nimmt. Ben korrigierte mich zwar mehrmals, wo der schwarze Bauer nun gestanden hat, ob auf g7 oder auf g6, der Unterschied aber nur minimal. In beiden Fällen hätte Weiß nämlich eine kräftige Drohung! Wobei Schwarz dieser Drohung zuvor kam, indem er 1. ... g7-g5+ spielte. Das Ergebnis davon lautete:
1:0.
Unspektakulär. Oder? Was wäre nur passiert, wenn man den einzigen legalen Zug ausgeführt hätte? Das geht hier nicht los mit „Warte mal, was spiele ich denn nun?“ , sondern es gilt hier, einen legalen Zug auszuführen. Es erinnert mich ein wenig an eine derartige Szene, welche ich allerdings nicht eben selten genau so (oder sehr ähnlich) schon erlebt habe:
Wobei hier, im Gegensatz zu vielen anderen Stellungen, die Erwähnung „Schwarz am Zuge“ gänzlich überflüssig ist. Es kann nur Schwarz dran sein und es gibt auch nur einen einzigen Zug. Gerade in solchen Stellungen erlebt man es ungewöhnlich häufig, dass nachgedacht wird. Es lag mir schon oft auf der Zunge, dass ich hier, als Zuschauer, meine Hilfe anböte, etwa in dieser Form: „Könnte ich hier vielleicht assistieren? Ich schlage den Zug 1. Kg8-h8 vor.“ Ob der Gegner dann direkt zum Schiedsrichter laufen würde, ich des Saales verwiesen wegen „Züge einsagen“? Da ich eine derartige Stellung sogar schon bei verwaistem Brett vorfand, überlegte ich, ob man da nicht rasch – eben auch als Gegner – den Zug ausführen könnte, damit es nur weiter ginge?
Welcher Optionen hätte man den Gegner beraubt? Genau einer. Dazu gleich mehr.
In einem der Videos des Ben Finegold zeigt er eine Glanzpartie gegen einen 2700er, in welcher er den Gegner nach doppeltem Figurenopfer so gut wie Schachmatt hatte. Er meinte, der Gegner hätte dennoch rasch mit gezogen. Es waren einige „einzige Züge“ darunter, aber nicht im Sinne der Legalität, sondern im Sinne von „Matt abwenden“. Als es aber tatsächlich nur noch einen einzigen legalen Zug gab, dachte der Gegner plötzlich, nach Finegolds Aussage, vier Minuten lang nach. „How many legal moves can you see her?“ fragte seine Schüler. „There is exactly one.“, fanden diese rasch heraus. Und genau hier denkt er nach, und das sogar ausgiebig? Es gab jedoch eine Antwort, warum er das tat. Es gab nämlich nicht nur ein einzügiges Matt als Antwort, sondern drei verschiedene Möglichkeiten. Wobei auch das keine große Rolle spielte. Der Gegner dachte vielmehr darüber nach, ob er seine letzte Chance, einen freien Willen kund zu tun, hier nutzen sollte. Die eine Option, die weiter oben angesprochen wurde, zog er dann auch: er gab auf. Wobei hier sogar die Möglichkeit bestünde, dass man sich damit beschäftigt, ob man dem Gegner ein hübsches Mattfinale gönnt oder ab man dies als noch größere Demütigung empfinden würde?
Am Zug befindlich hat man immer diese beiden Möglichkeiten: Einen Zug machen oder aufgeben. Wenn man nicht zieht, wird das Resultat aber das gleiche sein. Man überschreitet die Zeit und hat verloren. Nach einem eigenen Zug besteht ein gewisses Erfordernis (aber keine Pflicht), die Uhr zu drücken und die weitere Option, Remis anzubieten. Damit erschöpfen sich die Freiheiten aber auch schon.
Herr seines Willens bleibt man also mit der Partieaufgabe. Was man sich insbesondere erspart ist, belächelt zu werden, im Höchstfalle demnach eine gewisse Peinlichkeit. Dennoch wäre das Angebot, bei einzigen Zügen Assistent zu spielen, als Gegner oder als Zuschauer, nicht adäquat. Man hätte den Assistierten damit seiner Freiheit in gewisser Weise beraubt. So erkenne ich immer wieder in Stellungen, in denen es „einzige Züge“ gibt an, dass man nachdenkt. Es gibt immer etwas, über das man zumindest nachdenken kann, egal, ob sinnvoll. Deshalb hat sich bei mir längst die Einstellung gewandelt und sich der kleine Witz längst „eingebürgert“. Wenn ich jemanden über einen einzigen Zug nachdenken sehe, stelle ich also direkt die Frage, beispielsweise an einen anderen Zuschauer: „Klar, er denkt darüber nach, ob er aufgeben soll.“ Selbst wenn es ab und an von der Stellung her so rein gar nicht gerechtfertigt wäre.
Man könnte sogar noch eine zweite Begründung zum Nachdenken finden. Genau diese Eigenschaft habe ich sowohl bei Top-Schnellschachspieler Robert Rabiega als auch dem dahinter nur unwesentlich zurückstehenden Sergej Kalinitschew x-Mal beobachtet. Oftmals ist es ein einziger Zug, aber meist der einzige, der Sinn macht, wann dieses Phänomen auftritt. Die Situation die: es gibt nur einen Zug (oder es gibt eigentlich nur einen Zug, der in Frage kommt). Man denkt aber genau hier gründlich nach, um die Folgen möglicherweise so besser (aufgrund der überlegenen visionären Fähigkeiten zum Beispiel) abschätzen zu können, wie es weiter gehen wird. Zugleich aber lässt dies den Gegner in einer gewissen angespannten Unsicherheit. Es hat ein wenig was von „Drohung ist stärker als die Ausführung“. Es kommt sogar die kleine Möglichkeit in Betracht, dass der Gegner durch das Nachdenken des Gegners die Konzentration verliert.
Natürlich geschieht dies speziell in schwierigen Stellungen, in denen der Gegner knapp an Zeit ist. Erwähnenswert aber dennoch, dass es gewisse, nennen wir sie „spieltaktische“ Möglichkeiten gibt, sogar einen einzigen (legalen) Zug nicht auszuführen.
Bei Ben-Luca war die Sache natürlich etwas anders. Wobei auch die Diskussion hierüber zwischen uns geführt wurde. Es gab nämlich den Moment, da er behauptete, gar nicht gesehen zu haben, dass der Turm auf g5 schlagen könne. Da meldete ich denn doch gewisse Zweifel an. Und so wie das Gespräch weiter verlief, denke ich, dass ich damit nicht so falsch lag. Man denkt halt, es ist Matt, das ist schon möglich, und au weia und nicht aufgepasst oder so. Aber man sieht schon, dass es noch den einen Zug gibt.
Was wären die Folgen gewesen, falls er die alternative Option 2. Td5xg5 gezogen hätte? 2. ... Tg1xg5 Patt und Remis. Es ist unausweichlich. Den Turm weg zu ziehen wäre für Schwarz absolut sinnlos, da ja sogar der Bauer h5 weg wäre (ohne das Ergebnis damit auf den Kopf zu stellen; Remis ist Remis).
Schade, doch, aber kurioserweise war hier die Partieaufgabe die fehlerhaft gezogene Option, die für die eigens empfunden Peinlichkeit sorgen könnte. „Wieso gibst du denn auf? Wenn du den Bauern schlägst ist es im gleichen Zug Remis?“ „Oh, ach ja, ich Dummkopf.“
In der letzten Runde ereilte ihn ein ebenfalls unerfreuliches kleines Schicksal, gegen einen weiteren starken Gegner.
Laut der von ihm gehörten Schilderung (wir begegneten aber dabei Martin Galbraith, der das bestätigen konnte) hatte er hier nicht nur die zwei Mehrbauern, sondern auch einen gehörigen Zeitvorteil. Dieser vor allem deshalb so gravierend, weil der Gegner bereits unterhalb einer Minute angelangt war. Verständlich insofern, dass man sich ein wenig zurücklehnt und nicht mehr den besten Zug sondern in gewisser Weise den „sichersten“. Seine Wahl fiel hier auf 1. Db3-c3+. Das ist schon ok so, finde ich, vor allem wäre es das, wenn man nach dem offensichtlichen 1. ... Dc7xc3 2. b2xc3 Lf8-g7 nun 3. c3-c4 hätte folgen lassen. Der zweite Mehrbauer wäre erhalten und wenn Schwarz nicht tauscht, ist der c-Bauer nicht nur ein freier, sondern zugleich eine Stütze für den Le6, auf dem Feld d5. Nach Abtausch wäre c ebenfalls frei, aber weiter zurück. Dennoch: das wäre schon ein recht bequemer Sieg, die Zeitverhältnisse einbeziehend.
Stattdessen spielte Ben-Luca den Zug 3. Le6-b3?, woraufhin Schwarz natürlich auf c3 reinbiss. 3. ... Lg7xc3.
Die extremen Nachteile der von ihm gewählten Zugfolge zeigten sich in dieser Stellung hier auf tatsächlich witzige Weise (wenn man nicht auf der falschen Brettseite säße): der Turm kommt auf keine Art ins Spiel. Ginge man nach f3 wäre noch nicht einmal ein echter Fortschritt erzielt, da die f-Linie ja geschlossen bliebe und der Läufer c3 gedeckt werden könnte, aber noch schlimmer daran wäre die Folge 4. Tf1-f3 Td8-d1+ 5. Kh1-g2 Td1-d2+, wonach man die tolle Auswahl hätte, den Turm dazwischen zu ziehen, was nach Abtausch ein glasklares Remis ergäbe (wodurch selbst ein Zeitsieg nicht mehr ernsthaft in Betracht käme), zurück nach h1 zu gehen, ohne Perspektive auf Sieg, den König nach f1 zu stellen, wo ihm, wie auf h1, jegliche Perspektive fehlte, oder ihn auf h3 zu parken, wo man nun wirklich nicht hin möchte.
Einen Plan gäbe es noch: den Läufer nach d3 umzugruppieren. Als Idee. Nur lässt sich diese auf keine Art realisieren, ohne den c2 zwischendurch abzugeben. Es gibt einfach keinen guten Zug, was somit die dritte Option auf den Plan ruft, zum Beispiel 4. Tf1-f2 zu spielen (sehr solide und auch korrekt) und mit diesem Zug die Punkteteilung anbietet. Die Stellung ist so klar im Gleichgewicht, dass es eben witzig und verwunderlich ist.
Wenn man das, am Zug befindlich, irgendwie zu spüren beginnt, den Punkt aber schon so halbwegs fest eingeplant hat, wird es vielleicht verständlich, dass man einen so absurden Zug wie 4. Tf1-d1?? ausführt. Der muss ins Spiel, es gibt kein Feld, also landet er auf d1. Zugleich kann man irgendwie behaupten, dass er dort doch mit am besten „gedeckt ist“? Der Bauer c2 tut es irgendwie, der Läufer b3 doch auch?! Der Schluss nun so: 4. ... Td8xd1 5. Kh1-g2 mit Remisangebot, welches Schwarz, mit 35 Sekunden auf der Uhr, akzeptierte.
½:½.
Ob der Gegner die Annahme als Entgegenkommen verstanden wissen wollte oder ob er es sich wirklich nicht zutraute, in 35 Sekunden ein Schachmatt aufzubauen, oder innerlich davor die Partie schon abgehakt, speziell wegen der Zeit, und so gar nicht mehr darüber nachdachte, dass er sogar gewinnen könnte sind die offenen Fragen, welche vielleicht nicht einmal dringend der Klärung bedürfen. Fakt ist, dass die Partie gegen einen weiteren 2000er bis hierher gut gespielt war (wie der Gegner bestätigte), dass ein wenig Routine und Cleverness vielleicht noch fehlen, aber dass da eine Leistungssteigerung zu beobachten ist, die ihn immer wieder in die Nähe (bis darüber hinaus) guter Ergebnisse gegen ein solches Kaliber bringt. Zum Beispiel besiegte er im Turnier Zoran Filipovic, welcher mit rund 2050 verzeichnet ist.
Durch dieses Remis waren es bei ihm 4.5 Punkte. Das ist ein sehr ordentliches Ergebnis in diesem Feld. Mit einem (sehr leicht möglichen) Sieg in der letzten Runde hätte er zu den Preisrängen in seiner Kategorie aufgeschlossen. Das macht Mut und Lust auf mehr.
Mein persönliches Fazit fällt so aus: eigentlich gut gespielt. Fehler bleiben nicht aus. Der gegen Dennes Abel vor allem aufgrund des Zugtempos ein sehr bedenklicher. Die Partie gegen Marco Baldauf hätte ich nicht aus der Hand geben dürfen. Als seine Dame aktiv wurde gab es noch immer die Möglichkeit, ins Remis einzuwilligen, anerkennend, dass man immer gut dabei war, nicht immer gewinnen kann und dass sich vielleicht irgendwann doch eine gewisse Müdigkeit bemerkbar macht aufgrund der raschen Abfolge (und nie verschmähten Teilnahme) der Turnierangebote.
Zu einem allgemeineren Schlusssatz reicht es vielleicht nur noch in dieser „Standard-„ Form: ich bin nächstes Jahr wieder dabei. Ben sicher auch. Schon ein tolles Turnier in angenehmer Atmosphäre, bei welchem Marcus Gretzer erneut die Rolle des „Küchenchefs“ perfekt ausfüllte, denn ein lustiger Spruch liegt ihm stets auf den Lippen und für Nachschub war kulinarisch immer gesorgt.
Dirk Paulsen
Kategorien: Aus den Vereinen, Spielausschuß, Turniere