Bundeskongress des Deutschen Schachbundes am 20. und 21. Mai in Berlin
Vorbereitende Einschätzung
Meine Einschätzung zum Stand des (organisierten) Schachs in Deutschland und den sich daraus ergebenden Maßnahmen, für die der diesjährige Kongress die Weichen stellen muss
Meine persönliche Analyse von vor drei Jahren - der Deutsche Schachbund ist vor allem ein Verband der verpassten Chancen - ist aus meiner Sicht leider bis heute gültig. Und nach allem, was ich aktuell wahrnehmen und was diskutiert wird, habe ich die Sorge, dass sich dies fortsetzen wird.
Die Finanzkrise des DSB schwebt aktuell über allem. Dass diese gelöst werden muss, steht außer Frage. Ich möchte diese Krise aber an dieser Stelle einmal außen vor lassen, weil Sie den Blick verdeckt für die Herausforderungen, vor denen der Schachsport steht und die Chancen, die sich dem Schachsport aktuell bieten. Unser Schachsport erlebt seit Jahren einen nie dagewesenen Boom. Das Interesse am Schach hat gigantisch zugenommen. Die Spielerbasis hat sich online gigantisch vervielfacht, das mediale Interesse ist enorm gestiegen, es wird so viel über Schach berichtet wie noch nie, wir haben bei nahezu allen relevanten Medien feste Ansprechpartner für den Schachsport. Es hat sich ein Influencertum rund um den Schachsport gebildet, der zu einer weiteren Verbreitung in der Onlinewelt und bei jungen Menschen geführt hat, Menschen außerhalb der klassischen Schachcommunity werden so gut und viel erreicht wie noch nie. Die Möglichkeiten sich (haupt-)beruflich im Schachsport zu verwirklichen sind so gut und vielfältig wie noch nie, von der damit einhergehenden Professionalisierung profitiert der Schachsport und seine Verbreitungsfähigkeit wiederum enorm. An den Schulen wird so viel Schach gespielt wie noch nie. Lehrer*innen werden mit Fragen nach der Einrichtung von Schulschach-AGs gelöchert, in den Klassenräumen und auf den Schulhöfen wird an Brettern und Handys Schach gespielt. Beobachtungen, wie sie in den folgenden Artikeln beschrieben werden, werden auch an deutschen Schulen regelmäßig gemacht.
https://www.washingtonpost.com/education/2023/04/15/school-chess-class-clubs/
Ich beschreibe dies so ausführlich, weil es aus meiner Sicht elementar ist zu verstehen (und sich einzugestehen), dass all diese Entwicklungen aktuell ohne bzw. teilweise sogar trotz des Deutschen Schachbundes geschehen. Ingrid Lauterbachs Analyse, dass beim DSB "vieles gut läuft, getragen von guten Leuten" würde ich nicht einmal widersprechen wollen. Gerade außerhalb der häufig im Vordergrund stehenden "ersten Reihe" findet hervorragende Arbeit statt. Das Problem sind die Felder und großen Zukunftsfragen, die aktuell gar nicht diskutiert werden, davon dass sie angepackt werden, sind wir aktuell noch viel weiter entfernt.
Strukturell wäre es eine große Aufgabe, Schach an so vielen Schulen wie möglich in Deutschland - am besten institutionell - zu verankern. Für diese Generationenaufgabe, die aufgrund der föderalen Struktur in jedem der 16 Bundesländer gesondert angegangen werden müsste, bräuchte es eine Ausbildungsoffensive, um genügend Schachtrainer*innen zu haben und langwieriges Lobbying. Das Interesse ist da, aufgrund des Booms und der Berichterstattung ist auch das Zeitfenster da, um für eine institutionelle Verankerung zu werben, aber dieses Fenster wird sich auch irgendwann wieder schließen. Aktuell passiert aber in dieser Hinsicht fernab vom exzellenten Bremer Projekt noch nichts Wahrnehmbares.
Auch die Chance, die sich durch den Onlineboom und das massiv gestiegene Interesse der Jugendlichen und jungen Erwachsenen ergeben hat, wird von uns aktuell komplett ignoriert. Die DSOL als Projekt zu nutzen, um die ungebundenen Schachspieler an die institutionelle Schachwelt heranzuführen und mit dem Turnierschach und dem Deutschen Schachbund in Kontakt zu bringen, wurde konsequent abgeblockt. Eine Zusammenarbeit und auch nur ein Zugehen auf chess.com wird bisher konsequent abgelehnt. Ideen, Jugendliche und junge Erwachsene abzuholen, gibt es keine. In Berlin war unsere Hochschulmeisterschaft komplett überlaufen und hatte zu 80% Teilnehmer*innen, die noch nie in einem Schachverein waren oder an einem Schachturnier teilgenommen haben. Aber auch hier gibt es noch keinerlei Aktivitäten. Ich sehe nichts, was der DSB tut oder tun will, um Menschen meiner Generation abzuholen. Und wenn ich mir das voraussichtliche Präsidiumsteam anschaue, fällt es mir schwer daran zu glauben, dass hier Antworten gefunden werden, wie (vereinsungebundene) Spieler*innen zwischen 16 und 40 Jahren für unseren Sport, das Turnierschach und die Vereine begeistert werden sollen, auch wenn ich mir etwas anderes erhoffe und denen die Verantwortung übernehmen wollen hier Erfolg wünsche.
Die Diskussionen um die Mitgliedsbeiträge macht mich bisher auch nicht hoffnungsfroh. Auch hier wird die Diskussion durch die Versäumnisse der (bald) ehemaligen Führung getrübt, sowie bei manchen leider auch durch die persönlichen Animositäten und Verletzungen der Vergangenheit.
Statt darüber zu reden, was wir eigentlich erreichen wollen und was wir dafür brauchen, wird mit voraussichtlich niedrigeren Beitragserhöhungen als nötig die Amtszeit des kommenden Präsidiums von Anfang an massiv erschwert. Wir sind in einer Zeit, in der investiert werden müsste, in der sich Chancen bieten, die in unserer Lebenszeit vielleicht nicht wiederkommen werden. Wir müssten neue Angebote schaffen, völlig neue Menschen und Zielgruppen erreichen. Seit Jahrzehnten stagnieren unsere Mitgliedszahlen, nun wäre es die Zeit das endlich zu ändern, bessere Bedingungen werden wir nicht erhalten. Und stattdessen überlegen wir, wo wir wie kürzen können. Das ist in Anbetracht der Lage ehrlich gesagt der blanke Wahnsinn. Die Tendenz ist, dass es überall im Schach zu wenig Geld gibt, weil wir im Vergleich unfassbar billig sind. Der Vergleich mit anderen nicht-olympischen Verbände, den ich aus persönlicher Neugier recherchiert habe, bestätigt das leider nur.
Eigentlich bräuchte es eine Kampagne für einen Schacheuro im Monat, in dem die Vereine gebeten werden, ihre Monatsbeiträge um einen Euro monatlich zu erhöhen. Jährlich drei Euro für den Bund, drei Euro für den Landesverband und sechs Euro für den eigenen Verein, um die einmalige Chance, die sich uns gerade bietet und dafür notwendige Ideen und Projekte von der Basis bis zur Spitze finanzieren zu können. Regelmäßig erlebe ich auf allen Ebenen Ehrenamtliche am Anschlag, im Verein genauso wie im Bundesverband. Geld löst nicht alle Probleme, ist aber ein wesentlicher Faktor, um Engagement an vielen Stellen zu erleichtern. Wie oft haben wir es bei unseren Ideen und Projekten erlebt, dass es eben doch an diesen einigen Euros für eine erfolgreiche Umsetzung gemangelt hat?
Mir ist klar, dass das allerdings eine illusorische Vorstellung bleiben wird. Deswegen werden wir zumindest das Möglichste tun und als Berliner Landesverband für eine Beitragserhöhung um drei Euro stimmen.
Paul Meyer-Dunker