Rezensionen 11/2024
Kurz vor der Adventszeit diesmal ein zweigeteilter Artikel: in zwei Folgen werden wir Buchtitel vorstellen.
Folge eins wird Titel betreffen, die zwar nicht ganz frisch auf dem Markt sind, trotzdem nichts von der Relevanz eingebüßt haben.
Seit der letzten Folge tat sich immer wieder die Frage auf: Was ist der Vorteil vom Buch? Lernen wir da anders? In der Zwischenzeit sind mir zwei wesentliche Unterschiede aufgefallen.
- Mit einer Oberfläche wie zum Beispiel Chessable sind die Antwortzüge des anderen bereits vorgegeben. Wir merken uns die Abfolgen und können sie schließlich reproduzieren. Nehmen wir mit den selben Varianten ein Buch in die Hand, so bauen wir meist die Stellungen auf, ziehen unseren Zug und bestenfalls fragen wir uns: Was wäre, wenn Schwarz auf unser 4.d3 nun 4…Lc5 zöge? Und diese Frage stellen wir uns häufig, so dass wir im gewissen Sinne aktiver lernen. Und aktiv lernen ist Gold wert im Vergleich zur Berieselung. Dennoch habe ich lange genug mit talentierten Jugendspielern zu tun gehabt um zu merken, dass dies frommes Wunschdenken eines Trainers bleiben kann, denn ich sehe immer weniger Jugendliche, die gern Schachbücher lesen.
Dafür aber Erwachsene. Dann gibt es noch die Senioren, die mit den kleinen Diagrammen eines Stappenheftes nicht zurechtkommen. Es ist mir ein Rätsel, wieso die Stappencrew nicht auch mal ein digitales Format für die Übungshefte ausprobiert hat. Man könnte ja mit den „Vorausdenken“-Heften probeweise beginnen.
2. Der zweite Punkt ist aber nicht von der Hand zu weisen. Auf dem Bildschirm ist es häufig praktischer, Stellungen in der Masse zu bearbeiten. Wer Schach nicht vom Blatt liest, wird auf das Aufbauen angewiesen sein. Das muss nichts Schlechtes sein, denn das erfordert Sorgfalt und bleibt schon allein deshalb mit guten Chancen länger im Gedächtnis.
The Taimanov Bible
The Ink War
Think like a Super GM
The Modernized Ruy Lopez
The Taimanov Bible
Wenn die serbische Nationalmannschaft um die GM Ivanisevic, Perunovic und Markus sich mit einer Eröffnung wie der Taimanov-Variante im Sizilianer beschäftigt, kann man schon mal aufmerksam werden. Erst recht, wenn es im Hause Thinkers Publishing erscheint. Der kanadische Großmeister Aman Hambledon hatte berichtet, dass die erste Auflage ihm dabei geholfen hat, zum Großmeister zu avancieren. Es wurde auch höchste Zeit, denn der fröhliche Streamer hatte ein Gelübde abgelegt, mit dem er sich verpflichtete, sich bis zum Erreichen seines Zieles nicht mehr zu rasieren (Link auf Facebook). Auf der Isle of Man wurde er von der örtlichen Presse deshalb mit einem Landstreicher verwechselt. Aber im April 2017 erledigte er Alexei Shirov mit Schwarz (Partie ansehen).
Inhaltlich konkurriert das Buch mit den Ausführungen von GM Harikrishna auf Chessable, und es ist wohl eine Frage der eigenen Vorlieben, wie man es lieber hat. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass es selten bei einer Publikation bleibt, wenn man sich in die Varianten vertieft.
The Ink War
Ein Buch völlig anderer Art ist „The Ink War“. Es ist für die Liebhaber des Schachs gedacht, die sich auch gern über historische Zusammenhänge informieren und sich auch ihr eigenes Bild der Geschichte machen. Was lernen wir in der Schule – ähm, im Trainerlehrgang? Ja, Opa Moses Steinitz hat uns die Tafeln mit den ehernen Grundsätzen des Schachspiels vom Berg geholt. Er war ein streng positioneller Spieler und hat uns die Kriterien der positionellen Vorteile gegeben. Den temporären, also flüchtigen Merkmalen als auch den statischen Merkmalen. Zuckertort muss dann wohl so eine Art Zocker gewesen sein.
Liest man im Ink War nach (der Name rührt her von der heftigen Auseinandersetzung von Steinitz und Zuckertort im publizistischen Bereich), so eröffnet sich nicht nur auf wundersame Weise die Welt des 19. Jahrhunderts vor uns, sondern auch die Stereotypen bröckeln, bis aus den Marmorstatuen lebendige Protagonisten in einer tosenden, sich von Monat zu Monat in allen Bereichen radikal verändernden Welt entstehen. Hendricks ist es ein sehr gutes Buch gelungen, aber ich mag nicht daran glauben, dass es auch etwas für 18-jährige ist. Magnus Carlsen hingegen, so wird berichtet, schätze das Buch aber sehr.
Aus der Bücherei hatte ich mir übrigens mal eine Steinitz-Monografie ausgeliehen, die schnell zeigte, dass Steinitz auch ein sehr guter Schachzocker war.
Jetzt heißt es auf das Buch von Charles Hertan über Morphy warten, wir versprechen uns nur gutes davon.
Think like a Super GM
Wer würde das nicht wollen! Also los, Buch besorgen, durchlesen und dann wissen wir Bescheid. Schön wär’s! Aber das Buch gibt Einblicke und vergleicht die Lösungsstrategien von Michael Adams mit denen von 2600ern, 2400ern, 2000ern und -1500ern. Interessant, so ein Format gab’s meines Wissens nach noch nicht, und jene, die gern am Schach arbeiten (also wirklich: arbeiten und nicht nur schmörkern, hüstel) sei das Buch ans Herz gelegt. Es gibt neue und erhellende Einblicke.
The Modernized Ruy Lopez Vol. 2
Dariusz Swiercz ist ein hart arbeitender Autor. Er scheut sich nicht vor verzwickten Abspielen, seine Partie gegen Naroditzky bei der US-Meisterschaft (Link), als er eine sehr gute praktische Lösung durch den Variantendschungel von Giris damals frisch erschienenem Drachenkurs fand und diese dem Bullet-Star vorsetzte und mit zu schweren praktischen Aufgaben konfrontierte. Dazu trägt die Zusammenarbeit mit dem ideenreichen und starken GM Grzegorz Gajewski auch ihre Früchte und allgemein könnte man annehmen, das ist ein gutes Produkt. Der Titel ist auch sehr gut. Allerdings mehr für Oberliga aufwärts, denn Varianten dieser Art veralten sehr schnell. Swiercz hat sich auf Details spezialisiert, und erstens muss Weiß jede Menge wissen, um damit arbeiten zu können, zweitens ist es nicht immer gegeben, dass es sich lohnt, bestimmte Wege zu gehen im Hinblick auf die Balance zwischen Investment von Aufwand und Ertrag. Wer ohnehin schon Spanisch spielt: go for it. Für Spanisch-Anfänger jedoch und Sub 2100er jedoch wären die Titel von Caruana oder sogar Sielecki interessanter.
Die Bücher wurden uns zur Verfügung gestellt vom Schachversand Niggemann
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