Das Schachteam der JVA Tegel - Teilnahme am 2nd Intercontinental Online Chess Championship for Prisoners 2022

Quelle: JVA Tegel

von Patrick Huth

Am 13. und 14.10.2022 wurde das 2. Intercontinental Online Chess Championship for Prisoners ausgetragen. Für das Schachteam der JVA Tegel war es bereits die zweite Teilnahme. Gespielt wurde ein Mannschaftswettbewerb auf der Plattform chess.com, mit einer Bedenkzeit von 10+5 und mit vier Spielern pro Team. Das Turnier bestand aus 3 Runden. In Runde 1 sind die Teams nach Region in 8 Gruppen eingeteilt. Der Gruppenerste und -zweite jeder Gruppe kommen weiter. In Runde 2 gibt es dann 2 Gruppen mit jeweils 8 Teams. Die jeweiligen Gruppenersten spielen um Platz 1 und 2, die Gruppenzweiten um Platz 3 und 4. Nachfolgend werde ich die Vorbereitung auf den Wettkampf, die Auswahl der Spieler und die Durchführung des Wettbewerbs in der JVA Tegel schildern.

 

Vorbereitung

 

Die Vorbereitung auf das Turnier erfolgte im Rahmen der Schachgruppe der JVA Tegel. Diese wird geleitet von Frank van Hasselt und Jarek Fuczek. Derzeit erscheinen fünf Inhaftierte regelmäßig zum Schachtraining, das jeden Donnerstag von 18.00-19.30 Uhr in der Teilanstalt II stattfindet. An Anfang der Einheit werden die Taktikaufgaben der letzten Woche, welche immer am Ende jeder Einheit ausgegeben werden, besprochen. Es handelt sich dabei in der Regel um drei Standardaufgaben sowie eine schwierige Aufgabe, für die ich auch schon über eine halbe Stunde gebraucht habe. Danach wird in der Regel zur Strategie übergegangen. Im Bereich der Eröffnungen beschäftigten wir uns intensiv mit der Italienischen Partie. Da ich der einzige Spieler in der Gruppe mit Vorkenntnissen im Bereich der Eröffnung bin, war dies für die anderen Spieler ein guter Einstieg, um grundlegende Konzepte wie das Zentrum, Figurenentwicklung, offene Linien, etc. kennenzulernen. Ich selbst spiele mit den weißen Steinen Königsgambit und Londoner System (je nach Laune und Gegner), aber soweit ersichtlich, wurde die Italienische Partie von einigen meiner Teamkollegen auf das Brett gebracht. Mit welchem Erfolg, wird die Analyse der Turnierpartien ergeben. Weiters wurden einfache Endspiele, Preußisch, Französisch und viele andere Eröffnungen in Grundzügen besprochen.

 

Internes Turnier

 

In den letzten Wochen vor Turnierbeginn wurde durch ein internes Turnier in der JVA die Besetzung der vier Turnierbretter ermittelt. Die Bedenkzeit betrug ebenfalls 10+5 und es spielte jeder gegen jeden je einmal mit Weiß und einmal mit Schwarz, also insgesamt 8 Runden. Als Sieger des Turniers war ich auf Brett 1 gesetzt. Brett 2 eroberte Mario K., der sich von den anderen Spielern deutlich absetzten konnte. Dahinter folgten Adrian U., Tommy B. und Friedemann G. Es wurde vereinbart, dass auf Brett 3 und 4 rotiert wird, da zwischen Platz 3, 4 und 5 kaum Unterschiede in der Spielstärke festzustellen waren.

 

Das Turnier

 

Am 13.10.2022 fand schließlich das 2. Intercontinental Online Chess Championship for Prisoners 2022 statt. Im Kultursaal der JVA Tegel wurden vier Notebooks aufgestellt, die der Berliner Schachverband zur Verfügung stellte. Für die notwendige Internetverbindung sorgte ein von der Anstalt zur Verfügung gestellter „Gigacube“ (Mobiles Internet). Beaufsichtigt wurde das Turnier von einer Mitarbeiterin der JVA Tegel. Die Auslosung ergab für das Team der JVA Tegel folgende Gegner: Tschechische Republik, England I, Bosnien und Herzegowina, Italien, Serbien, Bulgarien und Norwegen II.

 

In Runde 1 spielte ich auf Brett 1 gegen den Spieler der Tschechischen Republik 1.e4 und freute mich über 1. … e5, woraufhin ich das Königsgambit spielen konnte. Leider stellte ich sehr früh aus Unkonzentriertheit einen Läufer ein, weshalb der Traum vom schnellen Matt platzte. Glücklicherweise bin ich durch die Ausnutzung einer offenen Turmlinie und einiger fragwürdiger Züge meines Gegners zurückgekommen und konnte dann mit massivem Materialübergewicht das Endspiel leicht gewinnen. Mario K. und Tommy B. konnten ihre Spiele auch gewinnen, sodass 2 Matchpunkte gesichert waren. Auf Brett 3 musste sich Adrian U. nach technischen Problemen trotz Materialübergewicht geschlagen geben.

 

In Runde 2 gegen England I spielte ich ebenfalls auf dem ersten Brett. Mein Gegner versuchte mit dem Londoner System einen sicheren Aufbau zu erreichen. Ich konnte aber sehr schnell seinen Königsflügel zerstören und einen unwiderstehlichen Mattangriff aufbauen, der nicht mehr zu verteidigen war. Mario K. wählte das Giuoco Pianissimo und konnte seinen Gegner im 44. Zug Matt setzen. Tommy B. wählte auf Brett 4 das Londoner System und wurde im 45. Zug Matt gesetzt. Adrian U. musste sich dem englischen Spieler auf Brett 3 geschlagen geben.

 

N.N. – Patrick Huth (2nd Intercontinental Online Chess Championship for Prisoners 2022, 13.10.2022, England I – Deutschland, Brett 1, 10+5)

 

  1. d4 d5 2. Lf4 e6 3. Sf3 c5 4. e3 Sc6 5. c4 cxd4 6. exd4 Lb4+ 7. Sc3 Sf6 8. a3 Lxc3+ 9. bxc3 0-0 10. Ld3 Se7 11. 0-0 Sg6 12. Lg5 h6 13. Lxf6 Dxf6 14. cxd5 exd5 15. Da4 Lg4 16. h3 Lxf3 17. gxf3 Sf4 18. Tfd1 Dg5+ 19. Kf1 Tfe8 20. Lh7+ Kxh7 21. Dc2+ Kg8 22. De2 Dg2+ 23. Ke1 Txe2# 0-1

 

In Runde 3 gegen Bosnien und Herzegowina wagte ich wieder auf Brett 1. Es war zu diesem Zeitpunkt schon klar, dass Bosnien und Herzegowina zu den besten Teams der Gruppe gehörte. Ich spielte wieder 1.e4 und bekam Pirc, eine Verteidigung mit der ich so gut wie gar keine Erfahrung habe. Am Ende musste ich mit einem Bauern weniger und einem gegnerischen Freibauern in ein Läuferendspiel. Ich schaffte es immerhin den Freibauern vorerst zu blockieren. Meine Endspielkenntnisse sind eher gering, aber ich erkannte schnell, dass das Spiel für den Bosnier gewonnen sein müsste, was später auch von unserem Trainer bestätigt wurde. Zu meiner Überraschung gab mein Gegner sich nach einigem Geplänkel mit einem Remis zufrieden (dreifache Stellungswiederholung). Mario K. auf Brett 2 und Adrian U. auf Brett 3 wurden von den bosnischen Spielern nach taktischen Fehlern mattgesetzt. Friedemann G. konnte auf Brett 4 mit den schwarzen Steinen Matt setzen.

 

Runde 4 gegen Italien war dann eine Katastrophe. Wir verloren alle 4 Partien nach schwerwiegenden taktischen Fehlern.

 

Runde 5 gegen Serbien (das beste Team der Gruppe) war dann der nächste Niederschlag (0-4). Wir versuchten die Serben zu überlisten, indem ich auf Brett 3 und Mario K. auf Brett 4 spielte. Meine Niederlage war besonders bitter, da ich mit den schwarzen Steinen und meiner geliebten französischen Verteidigung den Gegner in der Eröffnung in massive Bedrängnis bringen konnte (Materialgewinn + Zentrum), dann aber nach einer katastrophalen taktischen Fehleinschätzung das Spiel aus der Hand gab.

 

In Runde 6 gegen Bulgarien konnten wir uns wieder aufraffen und gewannen 3-1. Ich spielte auf Brett 1 das Königsgambit, was meinen Gegner offensichtlich massiv überforderte, und verzeichnete bereits in der Eröffnung großen Materialgewinn. Adrian U. auf Brett 3 konnte seinen Gegner bereits im 9. Zug Matt setzen. Friedemann G. auf Brett 4 setzte ebenfalls Matt. Nur Mario K. musste sich auf Brett 2 geschlagen geben.

 

Runde 7 gegen Norwegen II brachte dann immerhin einen versöhnlichen Abschluss (3-1 Sieg). Ich spielte auf Brett 1 wieder einmal gegen das Londoner System und hatte keine Probleme es zu knacken. Mario K. und Adrian U. obsiegten ebenfalls. Tommy B. musste sich seinem norwegischen Konkurrenten auf Brett 4 geschlagen geben.

 

Fazit

 

Mit Platz 4 in der Gruppe (7 Matchpunkte, 12,5 Spielerpunkte) konnten wir diesmal nicht überzeugen. Das Turnier hat gezeigt, dass die Schachmannschaft der JVA Tegel derzeit international nur Mittelmaß ist. Insbesondere im Bereich der Taktik/Variantenberechnung ist eine deutliche Steigerung aller Spieler notwendig. Soweit ersichtlich, wurden alle verlorenen Spiele durch taktische Unzulänglichkeiten entschieden. Im Gegensatz zum letzten Jahr haben wir nicht einmal die erste Runde überstanden, was auch daran lag, dass zwei ehemalige Spieler zwischenzeitlich in den offenen Vollzug verlegt wurden. Ich konnte immerhin 4,5 Spielerpunkte erreichen, Mario K. 3, Adrian U. sowie Friedemann G. 2 und Tommy B. 1. Problematisch ist, dass unsere Schachgruppe lediglich 6 Plätze hat und dass es innerhalb der JVA Tegel kein Auswahlturnier gibt, somit nicht zwangsläufig die besten Spieler am Turnier teilnehmen. Ich glaube, dass wir das Potenzial haben, international gut abzuschneiden, aber hierzu bedarf es einiger Verbesserungen. Die Kapazität der Schachgruppe sollte auf 12 Spieler erhöht werden und die Gruppe sollte in Leistungsgruppen eingeteilt werden; Gruppe 1 bestehend aus 6 Turnierspielern und Gruppe 2 aus 6 Perspektivspielern, die dann getrennt voneinander unterrichtet werden. 1-2 Mal pro Jahr können Spieler nach einem internen Turnier aufsteigen oder absteigen. Wichtig wäre auch, die Trainingszeit zu erhöhen, da 1,5 Stunden pro Woche zu wenig sind. Weiters müsste mehr Werbung innerhalb der JVA Tegel für die Schachgruppe gemacht werden. Schön wäre es, wenn unsere Turnierspieler regelmäßig auf chess.com trainieren könnten. Es war auffällig, dass unseren Gegnern eine sehr umfangreiche Vorbereitung auf chess.com von den jeweiligen Einrichtungen ermöglicht wurde. Im letzten Jahr hat mein russischer Gegner mehrere tausend Spiele auf chess.com absolviert. Ich selbst konnte eine halbe Stunde vor Turnierbeginn 3 Blitzpartien spielen. Insgesamt war die Teilnahme an dem Turnier für mich aber eine tolle Erfahrung. Ich möchte mich bei der JVA Tegel und den Organisatoren des Turniers bedanken und ich freue mich schon auf das nächste Jahr.

Bearbeiter: Bernhard Riess | | Archiv: BSV - Nachrichten | ID: 19397

Kategorien: JVA Tegel, Turniere

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