Zum Tod von Hans-Joachim "Benno" Wiese

Nachruf des SG Lasker Steglitz-Wilmersdorf, ergänzt um einen persönlichen Nachruf von Dirk Paulsen.

Hans-Joachim "Benno" Wiese ist am 26. Dezember 2021 gestorben.
Er war ein Urgestein unseres Vereins und ein unbändiger Kämpfer am Brett.

Auf unserer Webseite findet sich ein ausführlicher Nachruf und eine Analyse seiner letzten Partie, die Benno in der Schlussrunde der BMM Saison 2019-2021 noch im August für uns spielte und mit seinem Sieg den Klassenerhalt unserer Mannschaft sicherte. https://www.sglasker.de/news/8245/zum-tod-von-hans-joachim-benno-wiese.html

Ich bin erschüttert, dass nach so vielen gemeinsamen Jahren nun die gewitzten wie scharfsinnigen Bemerkungen von Benno unsere Ohren nicht mehr erreichen können.
Er fehlt uns. Ruhe in Frieden.

Sebastian Müller
(Vorsitzender des SG Lasker Steglitz-Wilmersdorf e.V. und langjähriger Mannschaftskollege)

 

Fidemeister und Alt-Laskeraner Dirk Paulsen hat folgenden persönlichen Nachruf auf Benno geschrieben:

Am 5.1.2022 erreicht mich die traurige Nachricht. Hans-Joachim Wiese – allseits fast ausschließlich als „Benno“ bekannt – weilt nicht mehr unter uns. Eines der Urgesteine des Berliner Schachs hat sich still verabschiedet.
Nachdem sich dann der erste Schock gelegt hat, beginnt man zwangsläufig, über ihn und die vielen Begegnungen mit ihm nachzudenken. Man ruft ihn auf diese Art ins Leben zurück. Auch kein schlechter Gedanke.
 
Und es tauchen viele Bilder auf. Viele Bilder, von denen aber kein einziges unerfreulich ist. Ich möchte an dieser Stelle gerne ein kleines Potpourri dieser Bilder versuchen, so plastisch wie möglich festzuhalten. Für mich, für euch, für alle, die ihn kannten und die ihn vielleicht auch dadurch erst kennenlernen.
 
An die erste Begegnung erinnere ich mich sehr genau. Es war 1974 im Schachclub Lasker-Steglitz, in der Albrechtstraße 127. Er spielte damals in der C-Klasse gegen Frank Weiß. Ich war ziemlich neu beim Schach und bewunderte diese Spieler: C-Klasse, das war schon was. Und sie spielten auch eine tolle Partie, von welcher ich eine Menge lernte. Linienöffung, die weißen Schwerfiguren drangen ein, ein schön herausgespielter Sieg, da steckte System dahinter.
 
Benno war damals schon Ende 20. Insofern hätte man ihn sicher nicht mehr unbedingt als „Talent“ bezeichnen können. Umso verwunderlicher, dass wir unsere erste Partie gegeneinander nur fünf Jahre später in der M-Klasse austrugen. Er hatte nämlich einen kometenhaften Aufstieg hingelegt. Er war in den Jahren dazwischen von der C-Klasse zur M-Klasse aufgestiegen! Das war tatsächlich sensationell, sagen wir es ruhig so: für einen Spieler in seinem Alter.
 
Genau dies veranlasste ihn aber tatsächlich dazu, einen Artikel über sich selbst und diese spektakuläre Entwicklung zu verfassen. Die Überschrift lautete: „Anatomie eines Wunders“. Es war ihm also sehr wohl bewusst, dass ihm ein solcher Aufstieg wohl am wenigsten zugetraut worden wäre? Ich las den Artikel jedenfalls mit Begeisterung und wie gut er war und wie gut der Benno erzählen konnte erkennt man zum Teil auch daran, dass er mir bis heute in so guter Erinnerung ist. Er schrieb es charmant, unterhaltsam und witzig und kein bisschen selbstdarstellerisch.
 
Zwischenzeitlich mag ich also auch einen gewissen Aufstieg zu verzeichnen gehabt haben, aber dies soll hier keineswegs Thema werden. Das Selbstvertrauen hatte ich und den Respekt vorm Alter nicht so sehr, insofern maßte ich es mir an, ihm einen weiteren Spitznamen anzuhängen in jener Zeit, mit welcher offensichtlich nur ich es wagte, ihn anzusprechen, der aber dennoch kein bisschen despektierlich klingen sollte. Ich nannte ihn nämlich Zeit seines noch recht langen weiteren Lebens einfach „Big Benno“, in gewisser Anspielung an eine Londoner Sehenswürdigkeit aber auch – man möge es mir verzeihen – an eine gewisse Körperfülle. Dass er zugleich einfach nur „der große Benno“ war, kann man mir ebenfalls kaum nachtragen?!
 
Eine weitere bestens erinnerliche Begegnung mit ihm fand zwischen 1974 und 1979 statt. Wir standen einmal vor dem Schachclub Lasker, bereits nach Mitternacht. Es war wohl das erste ausgiebige Gespräch mit ihm. Der Schachclub schloss regelmäßig um 23:30. Aber wir hatten viel Gesprächsstoff. Denn: Benno führte mir dort erstmals seine Erzählkünste und sein einmaliges Gedächtnis vor. Er war ein wahrer Unterhaltungskünstler und kannte sich überall gut aus, wobei „gut“ weit untertrieben ist. An jenem Abend sprachen wir auch über Kriminalromane. Ich war noch jung, kannte mich nicht aus. Seine Empfehlungen lauteten: Stanislaw Lem, Dashiell Hammet und Raymond Chandler. Nicht allein, diese hier aufzählen zu können beweist hoffentlich: er hatte einen exzellenten Geschmack. Ich habe von allen dreien gelesen, was ich in die Finger bekam.
 
Mit Benno konnte man natürlich auch phantastisch nur über Schach plaudern. Auch hier war seine Liebe für Historisches unüberhörbar. Er kannte und wusste einfach alles – und er konnte einem dieses Wissen auch vermitteln. Die Zeit mit ihm wurde einem ganz sicher niemals lang. Bei dem einen Namen bekam Benno jedoch regelmäßig noch leuchtendere Augen. Man musste ihm nur diesen hier zurufen: „Neshmetdinov“ – und Benno kam ins Schwärmen. Er kannte alle Turniertabellen, Partien von ihm, Jahreszahlen, Erfolge – und wusste natürlich vor allem zu berichten, dass ein so großartiges Talent und ein so genialer Schachspieler so unbekannt blieb. Wer das liest und ein wenig Interesse hat und Benno posthum eine Ehre erweisen möchte:  schaut euch ein paar Partien von diesem Spieler an – ihr werdet Benno ein klein bisschen besser kennen lernen und verstehen.
 
Eine weitere kleine Geschichte muss man hier auch mit erzählen, weil sie ihn so gut beschreibt: einmal, als er schon kurz vor der Pensionierung stand und wir nach einem Mannschaftskampf gemeinsam essen gingen – wie wertvoll solche Momente waren und wie sehr man sie und ihn vermisst, weiß man oft erst, wenn es sie nicht mehr geben wird – und ich ihn, in fröhlicher Runde, mit dieser „Allerweltsfrage“ konfrontierte: „Benno, warum hast du eigentlich nie geheiratet?“ und er darauf diese so herrliche Antwort gab, in seinem für ihn so typischen Berlinerisch: „Na, ditt hat sich eben nich erjeben.“ Das zeichnet ein solches Original aus, oder, noch besser, macht ihn zu einem Original. Da wird nicht lang drumrum geredet, da ist nichts unangenehm, intim daran, peinlich oder zu direkt. Nein. Ganz einfach. Bei dem eenen „erjibt et sich“, und beim Andern eben nich. So isset. Das zeigt doch, wie leicht er das Leben nahm und wie gerne man in seiner Gesellschaft war? Da war ganz sicher kein Platz für Schwermut.
 
Eine letzte kleine Begebenheit möchte ich noch erzählen. Als mein Sohn Ben mal in Geschichte ein paar Hausaufgaben oder auch nur Fragen hatte, meinte ich zu ihm: „Da habe ich einen Ansprechpartner für dich.“ Und wir gingen in den Schachclub, spielten dort, im S-Bahnhof Lichterfelde-West, das monatliche Schnellturnier, Benno war, wie üblich, dabei, und wir fragten ihn im Anschluss, ob wir nicht noch eine Pizza zusammen essen gehen wollten? Benno war dabei.
 
Nun bat ich Ben, dem viel größeren --- bis hin zu „Big“ – Benno seine Fragen zu stellen. Was nun folgte, war sensationell, aber für mich nicht unerwartet. Egal, nach welchem historischem Datum Ben auch fragte, nach welchem Zusammenhang, welchem Krieg, welcher Grenzverschiebung: Benno wusste nicht nur die Antwort, nein, er konnte einem alles im Gesamtzusammenhang erklären und erzählen, auf seine so urtypische, unterhaltsame Art. Bemerkenswert war, dass er, immer wenn eine neue Frage aufkam, quasi so eine Art Verwunderung zeigte, so als ob eigentlich jeder dieses wissen müsste?
 
Um noch wenigstens eine kleine, humorvolle Begebenheit beizusteuern, um das Bild abzurunden oder auch um die Trauer ein wenig beiseite zu schieben: im gleichen M-Turnier im Jahre 1979 war ein anderer Spieler vom Schachclub Lasker-Steglitz aufgestiegen, der ebenfalls dort Kultstatus hat(te). Reinhard Grüner. Im Turnier kam es zur Paarung „Grüner-Wiese“. Das veranlasste uns, den Song anzustimmen: „Auf der Grüner Wiese, hab ick ihr jefracht, ob sie mir ooch liebe, ja hat se jesacht“… in diesem Sinne…
 
Benno, Big Benno, die Stunden mit dir bleiben uns unvergessen.

 

Dirk Paulsen

Bearbeiter: Sebastian Müller | | Archiv: Verein SG Lasker | ID: 17046

Kategorie: Aus den Vereinen

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