Entscheidung des Vermittlungsausschusses im Fall SK Tempelhof

In dem Streitfall des Schachklub Tempelhof 1931 e.V. (Antragsteller) gegen den Berliner Schachverband (Antragsgegner) - beigeladen: SV Rot-Weiß Neuenhagen - hat der Vermittlungsausschuss durch den Vorsitzenden Dr. Ferenc-Stephan Tóth, sowie die Beisitzer Reinhard Baier und Thomas Mothes auf der mündlichen Verhandlung vom 26. Mai 2015 beschlossen:

  1. Der Protest des SK Tempelhof 1931 e.V. gegen die Entscheidung des Landesspielleiters vom 24. März 2015 wird zurückgewiesen.
  2. Die Protestgebühr wird nicht zurückerstattet.

Gründe

I.

Am 15. Februar 2015 kam es in der 7. Runde der BMM in der 3. Stadtklasse Staffel 4 im Rahmen des Mannschaftskampfes des SV Rot-Weiß Neuenhagen (2. Mannschaft) gegen den SC Tempelhof 1931 e.V. (2. Mannschaft) an Brett 3 zu der Begegnung zwischen dem SF Frank Lewin (vom SV Rot-Weiß Neuenhagen) und dem SF Hans-Peter Ketterling (vom SK Tempelhof 1931 e.V.).

Nach knapp 3 Stunden Spielzeit fühlte sich der Spieler Ketterling in seiner Konzentration beeinträchtigt, nachdem zum einen einer seiner Mannschaftskameraden wiederholt irrtümlicherweise eine falsche Uhr gedrückt hatte, was in der Folge zu Wortwechseln geführt hatte, als auch der allgemeine Geräuschpegel insbesondere „dank“ solcher Spieler, die ihre Partie bereits beendet hatten, zugenommen hatte. Nach eigenen Angaben war der Spieler sehr nervös geworden, als die Partie ihre kritischste Phase erreicht hatte.

Im 27. Zug erkannte der Spieler Ketterling, selbst unter Druck stehend, die Chance zu einem chancenreichen Figurenopfer. Er selbst hatte zu diesem Zeitpunkt noch eine Restbedenkzeit von 56 Minuten, während es bei seinem Gegner nur noch 11 Minuten waren. Zugleich bot der Spieler Ketterling Remis an. Der Spieler Lewin setzte die Partie nach kurzem Nachdenken mit der Annahme des Opfers fort. In der weiteren Folge gelangte SF Ketterling zu einer Gewinnstellung. Im 31. Zug winkte ihm ein dreizügiges Matt, welches zunächst mit einem Damenschach (De3–h3+) einzuleiten war. Der SF Ketterling ergriff in dieser Situation seinen Läufer (auf d5), hob diesen vom Brett, machte mit diesem eine reflexhafte Bewegung nach h3, stellte ihn wieder ab und wollte sodann den gewinnbringenden Damenzug ausführen. SF Lewin bestand darauf, dass SF Ketterling einen Läuferzug ausführt. Dieser weigerte sich seinen Läufer zu ziehen und wies seinerseits SF Lewin darauf hin, dass er „j'adoube“ gesagt habe. SF Lewin hielt daraufhin die Uhr an und verständigte den Schiedsrichter, Andreas Horzak. Dieser machte sich ein Bild von der Situation und erörterte die vorgefundene Sachlage mit den beiden unmittelbar beteiligten Spielern Lewin und Ketterling sowie einem Zuschauer, der nachdem er seine Partie bereits beendet hatte, in der kritischen Situation auch am Brett der Spieler Lewin und Ketterling stand.

SF Lewin erklärte dem Schiedsrichter, dass der Spieler Ketterling seinen Läufer angefasst und vom Brett gehoben habe und sich nun weigere ihn auch zu ziehen. Der SF Ketterling bestätigte, dass er den Läufer in die Hand und vom Brett genommen hatte, wies aber den Schiedsrichter seinerseits darauf hin, dass er zuvor „j'adoube“ gesagt habe. Der SF Horzak erkundigte sich sowohl bei dem Spieler Lewin, als auch dem Zuschauer, der die Situation am Brett mitverfolgt hatte. Keiner von beiden hatte nach eigenen Angaben eine entsprechende „j'adoube“-Ansage des Spielers Ketterling vernommen. Der Schiedsrichter forderte daraufhin den Spieler Ketterling auf den Läufer zu ziehen und wertete, nachdem dieser sich abschließend weigerte einen Läuferzug zu machen, die Partie als für den Spieler Lewin gewonnen.

Der Mannschaftskampf, welcher ohne Relevanz für Auf- oder Abstiegsfragen in der Staffel blieb, endete schließlich 4:4.

Gegen diese Wertung hat der SK Tempelhof 1931 e.V. zunächst Einspruch eingelegt, welcher vom Turnierleiter der BMM, dem SF Benjamin Dauth mit dem SK Tempelhof am 9.3.2015 zugegangener e-mail zurückgewiesen wurde. Der daraufhin frist- und formgerecht erhobene Widerspruch wurde durch den Landesspielleiter des Berliner Schachverbandes, dem SF Andreas Rehfeldt, mit Schreiben vom 24. März 2015 zurückgewiesen.

Hiergegen richtet sich der Protest des SK Tempelhof 1931 e.V. vom 29. März 2015, mit welchem er sein Begehren, die Partie als für den Spieler Ketterling gewonnen und den Mannschaftskampf demgemäß als mit 5:3 für den SK Tempelhof 1931 e.V. gewonnen zu werten, weiterverfolgt.

Der Antragsteller ist insbesondere der Auffassung, der Schiedsrichter habe die Partie zu Unrecht zugunsten des Spielers Lewin als gewonnen erachtet. Da der Spieler Ketterling bevor er den Läufer ergriff „j'adoube“ gesagt habe, läge gerade nicht ein Fall von 4.3 sondern vielmehr ein solcher von 4.2 der FIDE-Regeln vor. Da letztlich der Sachverhalt nicht mehr weiter aufgeklärt werden könne, stünde Aussage gegen Aussage, so dass der Grundsatz „im Zweifel für den Angeklagten“ zu gelten habe. Dies sei vom Schiedsrichter Andreas Horzak und ihm nachfolgend auch vom Turnierleiter Benjamin Dauth und dem Landesspielleiter Andreas Rehfeldt verkannt worden. Auch sei zu bemängeln, dass der Schiedsrichter seine Entscheidung getroffen habe, während die Uhr noch angehalten gewesen sei.

Zudem rügt der Antragsteller formale Mängel der Vorentscheidungen. So sei durch den Turnierleiter bei der Entscheidung über den Widerspruch die 14-Tagesfrist nicht eingehalten worden. Ferner sei davon auszugehen, dass der Turnierleiter vor seiner Entscheidung bereits mit dem Landesspielleiter über die Sache gesprochen habe, so dass dieser anschließend nicht mehr unbefangen gewesen sei. Zumindest sei dadurch keine echte „zweistufige Vorprüfung“ vor Anrufung des Vermittlungsausschusses erfolgt.

Der Vermittlungsausschuss hat im Rahmen der mündlichen Verhandlung über den Protest am 26. Mai 2015, in welcher die Interessen des Antragstellers durch die Schachfreunde Carsten Staats und Hans-Peter Ketterling, der Berliner Schachverband durch SF Martin Sebastian und der beigeladene SC Rot-Weiß Neuenhagen schließlich durch SF Andreas Horzak vertreten wurden, als zum gegenständlichen Lebenssachverhalt die SF Ketterling und Horzak angehört. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Verhandlungsprotokoll vom 26. Mai 2015 Bezug genommen.

II.

Der Protest ist zulässig. Die Anrufung des Vermittlungsausschusses ist gemäß § 9 Absatz 2 der Satzung des Antragsgegners statthaft, insbesondere auch form- und fristgerecht erfolgt.

Der Protest ist jedoch unbegründet. Die Entscheidung des Landesspielleiters mit welcher er die Entscheidung des Turnierleiters bestätigt, ist nach Auffassung des Vermittlungsausschusses so wenig zu beanstanden, wie die ihr letztlich zugrunde liegende Entscheidung des Schiedsrichters Andreas Horzak, um welche es inhaltlich geht.

Der Schiedsrichter hat die Partie völlig zu Recht als für den Spieler Lewin gewonnen erachtet, nachdem der Spieler Ketterling sich abschließend geweigert hatte, die Partie mit einem Läuferzug fortzusetzen. Dabei ist es völlig unerheblich, ob die Uhr wieder in Gang gesetzt wurde, um den Ablauf der Bedenkzeit des Spielers Ketterling abzuwarten. Da sich der Spieler verbindlich weigerte, die Partie regelkonform fortzusetzen, konnte so wie geschehen verfahren werden.

Einzig entscheidend ist vielmehr allein die Frage, ob der Spieler Ketterling tatsächlich verpflichtet war, seinen Läufer zu ziehen. Diese Frage ist, entgegen der Auffassung des Antragstellers, schlicht mit „ja“ zu beantworten. Weder ist der SF Ketterling ein „Angeklagter“ dieses Verfahrens noch streitet der Zweifelsgrundsatz für ihn. Es geht nicht um die Prüfung und etwaige Durchsetzung eines autoritären Strafanspruches, sondern um die Entscheidung, welcher der beiden Spieler, der SF Lewin oder der SF Ketterling, eine Schachpartie gewonnen hat. Der Antragsteller verkennt schlicht die Bedeutung der Darlegungs- und Beweislastverteilung vor dem Hintergrund des Regel-Ausnahmeverhältnisses von 4.3 und 4.2 der FIDE-Regeln.

Grundsätzlich hat ein Spieler, der eine Figur ergreift und sie vom Brett hebt, diese auch zu ziehen. Dies ist der Grundsatz und der in Ziffer 4.3 definierte Regelfall (vgl. den Wortlaut: „den Fall von Art. 4.2 ausgenommen“).

Nur im Ausnahmefall nach 4.2 der FIDE-Regeln gilt etwas anderes. Die Voraussetzungen für das behauptete Vorliegen dieser Ausnahme waren für den Schiedsrichter jedoch gerade nicht feststellbar (und sind es im Übrigen auch bis heute nicht). Zwar behauptete der Spieler Ketterling „j'adoube“ gesagt zu haben, unstreitig vermochte dies aber niemand zu bestätigen. SF Horzak befragte hierzu sowohl den Gegner, den SF Lewin, an den die Ansage zu richten war, als auch einen weiteren Zuschauer, der an dem Brett gestanden und das Geschehen verfolgt hatte. Beide gaben an, keine „j'adoube“ Ansage vernommen zu haben. Der Spieler Ketterling vermochte auch keine Person zu benennen, die seine behauptete Ansage gehört hätte. Da aber nun das Vorliegen der Ausnahme nach Artikel 4.2 der FIDE-Regeln nicht feststellbar war (und ist), musste der Schiedsrichter im Hinblick auf den Umstand, dass der Spieler Ketterling unstreitig seinen Läufer in die Hand und vom Brett genommen hatte, vom Regelfall des Artikel 4.3 der FIDE-Regeln ausgehen, und darauf bestehen, dass der Spieler Ketterling den Läufer auch ziehen möge.

Nach Auffassung des Vermittlungsausschusses setzt die „Bekanntgabe“ der Absicht eine Figur nur zurechtrücken zu wollen, auch die Vernehmbarkeit der Ansage, in erster Linie durch denjenigen für den sie bestimmt ist, d.h. den Gegner voraus. Wenn demgegenüber die bloße Behauptung eines Spielers „j'adoube“ gesagt zu haben, ausreichen würde, um Artikel 4.3 außer Kraft zu setzen, wären Missbrauchsmöglichkeiten Tür und Tor geöffnet. Der Regelfall drohte zur praktischen Ausnahme zu werden. Der von Artikel 4.3 bezweckte Schutz wäre nicht zu gewährleisten, die Norm wäre faktisch entwertet.

Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: der Vermittlungsausschuss bezichtigt den Spieler Ketterling keineswegs der Lüge. Es vermag sich genau genommen sogar nur schwerlich vorzustellen, dass der Spieler „so ein Fass aufmachen würde“, wenn er die Ansage (wie leise oder laut auch immer) nicht tatsächlich getätigt hätte. Es kommt aber nicht darauf an, ob der Vermittlungsausschuss dem Spieler Glauben schenken möchte oder nicht, sondern ob der Schiedsrichter am 15. Februar 2015 einen hinreichenden Anlass hatte, vom Ausnahmefall des Artikels 4.2 statt vom Regelfall des 4.3 auszugehen. Genau solches ist aber nicht der Fall.

Soweit von Seiten des Antragstellers etwaige Formfehler gerügt werden, vermag auch dies seinem Protest nicht zum Erfolg zu verhelfen. Die Überschreitung der 14-tägigen Bescheidungsfrist durch den Turnierleiter ist zwar sicherlich bedauerlich und sollte künftig vermieden werden, indem der Einspruchsführer z.B. zuvor über eine sich abzeichnende Verzögerung in Kenntnis gesetzt wird. Die „Verletzung“ dieser bloßen „Sollvorschrift“, vermag dem Antragsteller aber im Ergebnis nicht weiter zu helfen. Es ist – mit Verlaub – auch in keiner Weise nachvollziehbar, warum eine Überschreitung der Bescheidungsfrist um 2 Tage durch den Berliner Schachverband zu Lasten der SC Rot-Weiß Neuenhagen oder auch des Spielers Lewin gehen sollte. Mit welchem Recht sollten diese für die Fristüberschreitung des Turnierleiters belangt werden (dürfen)?!

Entsprechendes gilt auch für den Fall, dass der Turnierleiter sich vor seiner Entscheidung mit dem Landesspielleiter ins Benehmen gesetzt hat. Auch dies kann nicht zu der von dem Antragsteller verfolgten Rechtsfolge einer Wertung der Partie zugunsten des Schachfreundes Ketterling und des Mannschaftskampfes zugunsten seines Vereins (ver)führen. Etwaige Formfehler im Rahmen des Ein- und Widerspruchsverfahrens gehen weder zu Lasten des beigeladenen Vereins, der auf solche überhaupt keinen Einfluss hatte, noch vermögen sie etwas an der – vorliegend einzig entscheidenden – Rechtmäßigkeit der Entscheidung des Schiedsrichters zu ändern.

Im Hinblick auf die Erfolglosigkeit des Antrages kommt eine Erstattung der Protestgebühr vorliegend nicht in Betracht.

Thomas Mothes
Reinhard Baier
Dr. Ferenc-Stephan Toth

Bearbeiter: Frank Hoppe | | Archiv: BSV - Nachrichten | ID: 1739

Kategorie: Vermittlungsausschuss

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